Den Journalisten kehrt sie demonstrativ den Rücken zu. Mit verschränkten Armen und lässigem Gesichtsausdruck läßt die Rechtsextremistin und mutmaßliche Angehörige der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), Beate Zschäpe, die Blitze der Fotokameras und die Fernsehaufnahmen von Journalisten im Landgericht von München über sich ergehen. Gut 30 Minuten lang.
Kaum Zeichen von Anspannung sind in ihrem Gesicht auszumachen. Zum Verhandlungsauftakt am Montag trägt sie ein schwarzes Kostüm und eine blau-weiß gestreifte Bluse. Immer wieder unterhält sich die 38jährige mit ihren Anwälten, lacht gelegentlich, scheint mit ihren Verteidigern zu scherzen. Was davon echt und was aufgesetzt ist, läßt sich bei der Hauptangeklagten nur schwer erkennen. Die Anklage legt ihr Mittäterschaft bei allen Taten des NSU zur Last. Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Banküberfälle.
Signale der Reue sendet die gelernte Gärtnerin der Fachrichtung Gemüsebau erwartungsgemäß nicht aus. Ihre Augen sind hellwach. Lediglich ein kurzer orientierender Blick Zschäpes in Richtung Empore des von gut 30 Justizvollzugsbeamten gesicherten Gerichtssaals verrät leichte Verunsicherung. Einmal dreht sie den Kopf leicht in Richtung der Kameras. Kurz. Ein Schwall von Fotosalven prasselt umgehend auf sie ein, die an der Tochter einer studierten Zahnmedizinerin jedoch abzuprallen scheinen, ehe sie ihren Kopf wieder wegdreht.
Zschäpe wirkt gelassen
Mit ihr angeklagt sind André E., Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. Dieser und Wohlleben sollen Beihilfe zum Mord geleistet haben, indem sie eine Pistole besorgten. André E. und Holger G. wirft die Staatsanwaltschaft Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor.
Doch während sich Beate Zschäpe zu Beginn der Hauptverhandlung fast schon provozierend lässig darstellt, nagt der Prozeß bei Holger G. und Carsten S. sichtbar an den Nerven. Mit einer über den Kopf gezogenen blauen Jacke betritt S. den Saal – und wirkt darunter ein wenig wie die „Star Wars“-Figur des dunklen Lord Sidious. Bis zum Verhandlungsbeginn hüllt die Jacke sein Antlitz in Finsternis. Ehe der Prozeßbeginn unter dem Kleidungsstück statt eines faltenzerfuchten Bösewichts den Blick auf einen jungen Mann mit gepflegtem schwarzen Kurzhaarschnitt freigibt, der ohne Probleme als Angestellter in jeder Bank durchgehen würde.
Auch Holger G. hat sein Gesicht verdeckt. Er trägt eine olivgrüne Schirmmütze, die er sich tief ins Gesicht geschoben hat. Einen gleichfarbigen Schnellhefter nutzt er als Schutzschild gegen die Kameras. Unter der Kappe verbirgt sich ein ebenfalls junger, dunkelblonder Mann, dessen Erscheinungsbild ebenso gepflegt ist wie das von S. Noch bevor die Masken der beiden fallen, verliert ein niederländischer Journalist die Contenance. „Zeigt euch, ihr Feiglinge“, ruft er von der Empore in den Saal. So oft, daß ihn sogar Journalistenkollegen zur Ordnung rufen.
Wohlleben gibt sich desinteressiert
Ralf Wohlleben hingegen zeigt sich angesichts des Presseansturms desinteressiert. Scheinbar seelenruhig blättert er in einem Aktenordner, der vor ihm auf dem Tisch liegt. Doch seine Hände zittern.
Auch André E. will sein Gesicht nicht verdecken. Der kräftig gebaute Mann mit dem Loch-Ohrring setzt seine mitgebrachte schwarze Sonnenbrille nicht auf, läßt sie statt dessen lässig in seiner rechten Hand hin und her baumeln. Erst als ihm ein Kameramann zu sehr auf die Pelle rückt, dreht er sein Gesicht nach hinten.
Vorwurf der Verzögerungstaktik
Erwartungsgemäß kommt es nicht sofort zur Verlesung der 488 Seiten umfassenden Anklageschrift. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl und Rechtsanwältin Anja Sturm, zwei der drei Pflichtverteidiger Zschäpes, verweisen auf eine von ihnen am Samstag um 19 Uhr per Fax an den Senat des Gerichts geschickte Erklärung, in der sie den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl für befangen erklären. Ihre Begründung: Vor Betreten des Sitzungssaals seien die Verteidiger auf Waffen durchsucht worden, Bundesanwaltschaftsvertreter und Justizmitarbeiter jedoch nicht.
Gemurmel unter den Journalisten, von Verzögerungstaktik ist die Rede. Die Medienvertreter selbst hingegen müssen beim Einlaß in den Sitzungssaal keine Verzögerungen hinnehmen. Als auch Wohllebens Anwalt später einen Befangenheitsantrag stellt, entscheidet das Gericht, den Prozeß zur Beratung eine Woche zu unterbrechen. Als nächster Verhandlungstag wird der 14. Mai vorgesehen.
Entgegen zahlreicher Befürchtungen ist der Prozeßandrang bei weitem nicht so stark und chaotisch wie zunächst erwartet. Weil nur wenig Zuhörer zum Prozeß erscheinen können auch die meisten Journalisten ohne Reservierung doch noch einen Sitzplatz ergattern. Gejammert wird zuvor dennoch. Als Kameraleute über einen Sondereingang in den Sitzungssaal gelangen, wird es in der unter einem Zelt direkt vor dem Gerichtsgebäude eingerichteten Warteschlange der akkreditierten Journalisten unruhig. „Was ist mit uns, wir sind akkreditiert, was ist das für eine schlechte Organisation“, brüllt ein Medienvertreter einen Polizeibeamten an.
Mancher Medienvertreter schweigt verlegen
Andere Journalisten beklagen sich über schlechte Arbeitsbedingungen, weil sie nur als Zuhörer am Prozeß teilnehmen und keinen Presseplatz haben. Nur einer gibt sich selbstkritisch: „Wie wir hier auftreten, machen wir dem Ruf unseres Berufsstandes aber auch nicht gerade eine große Ehre.“ Tatsächlich entpuppt sich der Ärger über die Pressesitzplätze als Sturm im Wasserglas. „Eigentlich hat ja jeder bei rechtzeitigem Erscheinen einen Platz sicher“, merkt eine junge Zuhörerin treffend an. So mancher Medienvertreter schweigt verlegen.
JF 20/13
> Mehr zum NSU-Prozeß in der am Mittwoch erscheinenden Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT