Wichtig ist, finde ich, daß man im straffen Morgenlauf nach Fuchsfeld kommt – von mir aus ein etwa fünf Kilometer entferntes winziges Vorwerk in einer Gegend, die keine Touristen kennt, also weit genug entfernt ist von den größeren mecklenburgischen Seen, von den Yachthäfen und Golf-Greens. Fuchsfeld ist so aus der Kehre, daß es da nicht mal Künstler oder wenigstens einen Keramiker gibt. Jeden Morgen laufe ich dorthin, und diese Trainingseinheit über zehn Kilometer ist mir wichtiger als alles, was am Tag noch folgen mag. Von daher kommt die Kraft. Es ist meine sehr abendländische Form der Meditation.
Zunächst eine Steigung durch die Grundmoräne hinauf, rechts gesäter Raps, links bestellter Weizen, noch dicht verschneit, eine frostige Schneeplatte, die grell eisige Sonne reflektiert, ein hohes, aber in diesem Jahr falsches Frühlingslicht, das auf glitzerndes Weiß fällt. Seit Wochen scharfer Wind im Gesicht, aus Nord, Ost, Nordost. Aber die Anstrengung des sanften, dabei stetigen Anstiegs wärmt. Im nächsten Ort, Lutow, bin ich schon locker und trabe auf einem mit jedem dieser harten Winter brüchiger werdenden Asphaltweg Fuchsfeld entgegen. Weiter schnurgerade und ungeschützte Strecke, links noch Telegrafenmasten, alles melancholisch wirkend: Winterblues.
Auf dem Schnee kontrastscharf dunkel abgesetzt die hungernden Rehe, die durch den gefrorenen Harsch nicht an den Raps kommen. Ab und an ein Fuchs und auffallend viele Kolkraben, vermutlich auf eine Portion Aas wartend. Und verfrüht eingetroffene, deplaziert und perplex wirkende Kraniche, die durch die Kälte staksen, immerfort Schreie ausstoßend, als protestierten sie gegen diesen April. Wölfe, gerade ihr Geheul im Rudel, machten sich gut, sind aber offenbar noch nicht da. Den Räubern ginge es derzeit besser als den Friedfertigen.
Deutsch wie ein Medizinball
Zweimal dreißig Liegestütze in Fuchsfeld hinter der verwaisten Busbude, zweimal dreißig Sit-ups und abschließend der Sprung an die eisige Teppichstange eines verwildernden Grundstücks, um auszuprobieren, wieviel Klimmzüge noch gehen.
Dann gleicher Weg retour, aber Richtung Ziel jetzt abfallendes Gelände, etwas Gymnastik im Laufen, das Kreuz durchdrücken, über ein paar hundert Meter zu boxen versuchen, wie Cassius Clay es im Film bei seinem Jogging durch Louisville tat. Immer noch so ein Kindheitsvorbild. Am Ende nehme ich die Zeit, da bin ich sehr deutsch. Deutsch wie ein Medizinball.
Aber im Ernst: Morgensport ist angenehm militant. Dieses von null auf hundert, das Anstarten der Maschine Körper, das Spüren der „purpurnen Flüsse“. Aber nicht nur das: Von selbst stellt sich eine sehr besondere Art zunächst des Fühlens, dann des Denkens ein. Denn: Man denkt nicht wie am Schreibtisch, sondern es denkt einen, mal in Begriffen, mal ohne. Man kann die Gedanken kommen lassen und bei sich behalten – oder fortschicken. Je nachdem, ob einem nach Systematik oder Tiefe oder nur Leere ist. Es gibt auch leere Tiefe und tiefe Leere.
Weniger sanft als eine Plauderei übers Bio-Müsli hinweg
Typen, die morgens so loslegen, denke ich manchmal, gelten vielleicht auch schon als Faschisten, weil diese Erwärmung für den Tag weniger sanft ist als eine säuselnde Unterhaltung übers Bio-Müsli hinweg. Alles doch viel zu intensiv! Zarathustra-Einführung für Anfänger, Selbstüberwindung, Erspüren von Leistungsfähigkeit, die einen ermutigt, obwohl gerade kein anderes Einkommen zu erwarten ist als das, wofür man sich selbst bewegt.