BERLIN. Bundespräsident Joachim Gauck hat Großbritannien dazu aufgerufen, in der Europäischen Union zu verbleiben. „Liebe Engländer, Schotten, Waliser, Nordiren und britische Neubürger! Wir möchten Euch weiter dabeihaben! Wir brauchen Eure Erfahrungen als Land der ältesten parlamentarischen Demokratie, wir brauchen Eure Traditionen, Eure Nüchternheit und Euren Mut!“, sagte Gauck in seiner Grundsatzrede zur Europapolitik am Freitag.
„Ihr habt mit Eurem Einsatz im Zweiten Weltkrieg geholfen, unser Europa zu retten – es ist auch Euer Europa. Laßt uns weiter gemeinsam um den Weg zur europäischen res publica streiten, denn nur gemeinsam sind wir den künftigen Herausforderungen gewachsen. Mehr Europa soll nicht heißen: ohne Euch!“
Der britische Premierminister David Cameron hatte im Januar angekündigt, die Briten 2017 über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen zu lassen.
„Mehr Europa heißt für uns: europäisches Deutschland!“
In seiner Rede ging Gauck auch auf die antideutschen Stimmungen in einigen EU-Krisenländern ein. Er sei erschrocken darüber, wie schnell die Wahrnehmungen sich verzerrten, das heutige Deutschland stünde in einer Traditionslinie deutscher Großmachtpolitik oder gar deutscher Verbrechen. „Doch ich versichere allen Bürgerinnen und Bürgern in den Nachbarländern: Ich sehe unter den politischen Gestaltern in Deutschland niemanden, der ein deutsches Diktat anstreben würde.“
In Deutschland habe keine populistisch-nationalistische Partei in der Bevölkerung die Zustimmung gefunden, die sie in den Deutschen Bundestag gebracht hätte. Er könne aus tiefer innerer Überzeugung sagen: „Mehr Europa heißt in Deutschland nicht: deutsches Europa. Mehr Europa heißt für uns: europäisches Deutschland!“, betonte Gauck.
Gerade die Deutschen wüßten tief in ihrem Innern, daß sie etwas mit Europa in besonderer Weise verbinde. „War es doch unser Land, von dem aus alles Europäische, alle universellen Werte zunichte gemacht werden sollten. War es doch unser Land, dem die westlichen Siegermächte trotzdem gleich nach dem Krieg Hilfe und Solidarität zuteil werden ließen“, erinnerte der Bundespräsident.
„Wir wurden Eingeladene, Empfangene, Aufgenommene, Partner“
Den Deutschen sei damals erspart geblieben, was nach ihrer Hybris leicht hätte folgen können: eine Existenz als verstoßener Fremdling außerhalb der Völkerfamilie. „Statt dessen wurden wir – was erst recht aus der heutigen Perspektive unerwartet und wunderbar erscheint – Eingeladene, Empfangene, Aufgenommene. Partner“, zeigte sich Gauck dankbar.
„Wir kamen zu der beglückenden Erfahrung, daß wir uns selbst achten konnten und von anderen geachtet wurden.“ So hätten sich die Deutschen in ihrem Handeln mit Europa verbunden. „Wir haben uns Europa geradezu versprochen“, unterstrich das Staatsoberhaupt in der ersten Grundsatzrede seiner Amtszeit. (krk)