In Angela Merkels Haifischbecken schrumpften schon so einige namhafte Hoffnungsträgergrößen bis auf ein Kleine-Fische-Format zusammen. Noch bevor sie überhaupt weit oben angekommen waren und damit der CDU-Frontfrau als Konkurrenten im Amte hätten gefährlich werden können, suchten beispielsweise Friedrich Merz und Roland Koch entschlossen das Weite.
Ein herber Verlust nicht nur für die CDU. Denn diese Schwergewichte sind ja nicht nur der Union, sondern dem Politikgeschäft im ganzen und der Wählerschaft höchstwahrscheinlich sogar auf Dauer verlorengegangen. Ganz gewiß hätte ein ausgewiesener Wirtschaftspolitiker wie Friedrich Merz gerade seiner heimischen nordrhein-westfälischen CDU ausnehmend gutgetan.
Der größte Landesverband darbt nämlich schon seit langem, leidet (wie auch die SPD) chronisch an Mitgliederschwund. Und das offenbar vor allem deshalb, weil es ihm an überzeugendem Führungspersonal mangelt. Zwar beteuern die CDU-Oberen gebetsmühlenartig ein ums andere Mal, wie überragend wichtig ihnen insbesondere die Landtagswahlgänge zwischen Weser und Rhein seien; gleichwohl aber entsenden sie dorthin von außen verordnete Spitzenkandidaten, die dem Wählerpublikum eher wie Durchreisende erscheinen.
Widerborstiger Röttgen ärgert Angela Merkel
Dafür mußte zu Helmut Kohls Zeiten, 1990, dessen Weggefährte und Arbeitsminister Norbert Blüm herhalten. Blüm hatte sein Rückkehrticket von vornherein absolut sicher in der Tasche. Denn Kanzler Helmut Kohl persönlich hielt ihm den Ministerstuhl im Bundeskabinett frei.
Völlig anders ist es nun, anno 2012, dem aufreizend schneidigen CDU-Umweltminister Norbert Röttgen ergangen. Doch so verlockend Legendenbildungen den Politikschaffenden selbst und natürlich den Massenmedien auch erscheinen mögen: Man sollte sich am tatsächlichen Geschehen orientieren.
Dazu allerdings gehört die, gelinde gesagt, bemerkenswerte Handlungsweise der Angela Merkel. Im nachhinein heißt es, der renitent-kiebige Röttgen habe der CDU-Chefin und Bundeskanzlerin eben wegen seiner Widerborstigkeit keine andere Möglichkeit mehr gelassen, als ihn binnen Tagen nach dem desaströsen Absturz der CDU bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl eiskalt abzuservieren.
Abgecancelt wie einen dummen Jungen
Das mag ja noch irgendwie nachvollziehbar sein, selbst wenn vielen, sogar Wohlmeinenden, ein Schauer über den Rücken gelaufen sein dürfte, als Angela Merkel mit schneidender Schärfe verbal das Fallbeil auf Röttgen niederkrachen ließ – vielleicht auch um eigene Anspannung und Verunsicherung aufgrund der krassen Wahlniederlage vom 13. Mai zu übertünchen. Ungleich schwerer wiegt die Frage, ob der gewieften CDU-Chefin nicht schon früh eine mächtige personelle und fachliche Fehleinschätzung unterlaufen ist, als sie Norbert Röttgen auf der Karriereleiter nach oben beförderte.
Noch am Montag nach der Wahl sah sie sich offensichtlich nicht genötigt, ihrem politischen Ziehsohn die allererste Kompetenz und sein rundum erfolgreiches Wirken als Bundesumweltminister abzusprechen; viele wichtige Aufgaben seien noch gemeinsam zu erledigen. Schon am nächsten Morgen aber, Knall auf Fall, kanzelte die Kanzlerin den eben noch Belobigten öffentlich ab wie einen sprichwörtlich dummen Jungen.
Das Umweltressort brauche dringend frischen Wind und eine neue Führungsspitze, gab Angela Merkel nun urplötzlich kund. Und süffisant, beinahe wie zum Hohn dankte sie Röttgen im Weggehen auch noch so ganz allgemein für sein „kosmopolitisches Engagement“. Und, man traute seinen Ohren nicht, ebenso plötzlich räusperten sich nun auch Vorder- und Hinterbänklerstimmen in der NRW-CDU, die es eigentlich schon immer (besser) gewußt hatten: Sowohl als CDU-Landeschef als auch als Ministerpräsidentenbewerber sei Norbert Röttgen zu schwach, nicht ausreichend qualifiziert, kurzum – von Anfang an eine Fehlbesetzung gewesen. Nur, wer hat diese angebliche oder tatsächliche Fehlbesetzung denn wohl maßgeblich zu verantworten, wenn nicht die CDU-Oberen in Düsseldorf und in Berlin vor allem?
Merkel und die Frage nach dem Konservatismus
Die dramatisch gebeutelte Landespartei indes macht weiter wie gewohnt. Anstatt erst einmal geboten gründlich die inhaltlichen Ursachen des niederschmetternden Wahldebakels zu erforschen, stürzt sie sich wie gehabt in die weltbewegende Personaldebatte darüber, welcher von zwei altgedienten Zweite-Wahl-Fahrensmännern – Armin Laschet oder Karl-Josef Laumann – den nordrhein-westfälischen Dampfer denn wohl wieder zu besseren Ufern steuern könnte, sollte, müßte. Die NRW-CDU ist in den drei letzten Wahlgängen von 44,8 (2005) über 34,6 (2010) auf 26,3 Prozent (2012) in den Keller gerasselt. E
Eine solch derbe Wahlniederlage sei aber „nicht mal eben aufzuarbeiten“, mahnt kein Geringerer als Norbert Lammert, der politik- und lebenserfahrene CDU-Spitzenpolitiker aus Bochum und heutige Präsident des Deutschen Bundestages. Und in der Tat, die Schlüsselfrage bleibt: Wie eigentlich will Angela Merkels Union je die Deutungshoheit über Begriffe wie Konservativismus, Soziale Marktwirtschaft, Familie, Lebensschutz und Freiheit – und damit möglichst viele alte und neue Wähler – gewinnen?
———–
Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld.