Die FDP steckt in der Krise. Wieder einmal. Fast möchte man das Auf und Nieder der Liberalen zyklisch nennen. Im konkreten Fall geht es aber um das Überleben als politische Kraft. Längst haben sich neue Parteien formiert, die um die Gunst der Wähler ringen. Sie könnten künftig das Zünglein an der Waage sein, das jahrzehntelang die Liberalen für die einstigen Volksparteien CDU und SPD waren.
Zur Zeit versucht sich die FDP auf Bundesebene aus der tödlichen Umklammerung der Kanzlerin zu befreien, in die sie als kleiner Koalitionspartner geraten ist. Nur wenn es der Partei gelingt, aus dem politischen Einheitsbrei von CDU, SPD und Bündnisgrünen heraus wieder eigene, unverkennbare liberale Zeichen zu setzen, kann sie ihren Untergang aufhalten und in einem neuen Anlauf Wähler zurückgewinnen. Neu erfinden muß sich die FDP dafür nicht. Es würde reichen, wenn sie sich ihrer Grundsätze wieder bewußt wird. Wenn sie sich zur freiheitlichen Marktwirtschaft bekennt und die parteiinterne inhaltliche Diskussion ohne Tabus forcieren würde.
„Wir brauchen eine Partei, der die Freiheit wichtiger ist als die Gleichheit“, meinte dazu der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, ein enttäuschter FDP-Stammwähler, der aus Ärger über den mangelnden Widerstand gegen die Euro-Rettung den Liberalen diesmal sein Kreuz verweigerte. Die Ankündigung des Parteivorstands, den vom Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler initiierten Mitgliederentscheid für ein Nein zum Euro-Rettungsschirm von vornherein ablehnen beziehungsweise mit einem eigenen Antrag torpedieren zu wollen, ist dabei wenig hilfreich.
Nach einem Höhenflug kam der Absturz
Die Verbesserung des Investitionsklimas durch Bürokratieabbau, Privatisierungen, Deregulierungen, Subventionsabbau, Tarifrechtsreformen und vor allem die Reduzierung der Staatsverschuldung waren einmal die zentralen Ziele. So wenig Staat wie möglich sollte es geben. In der Koalition mit der Merkel-CDU haben die Liberalen davon nicht nur wenig umsetzen können, sondern sie haben – wie die Christdemokraten – das eigene Profil verloren. Die Papiere zur Energiepolitik sind nur Makulatur. Einschränkungen von bürgerlichen Grundrechten werden billigend hingenommen.
Erst zwei Jahre ist es her, daß die Liberalen unter Guido Westerwelle mit 14,6 Prozent der Wählerstimmen ihr bestes Wahlergebnis bei Bundestagswahlen einfuhren. Gleichzeitig war die FDP in sechs Bundesländern in Regierungskoalitionen eingebunden. Seitdem geht es abwärts, zittert man vor der Fünf-Prozent-Hürde und einem Abstieg in die außerparlamentarische Opposition. Bitter rächt sich angesichts der Eurokrise, daß man aus Prestigegründen auf dem Posten des Außenministers bestand, anstatt der CDU das Finanzministerium abzutrotzen.
Noch schlimmer war, daß die FDP keine Signale setzte, keine Modelle vorlegte, wie der Sozialstaat den neuen Bedingungen angepaßt werden kann, sondern gemeinsam mit der von Merkel sozialdemokratisierten CDU weiterwurschtelte. Weder wurden unter schwarz-gelber Regie staatliche Subventionen zurückgefahren, noch die Eingriffe des Staates in das Leben der Bürger eingeschränkt. Im Gegenteil. Höhepunkte liberalen Scheiterns sind aber die Euro-Politik und der Umgang mit dem zahlungsunfähigen Griechenland.
Künftige Garanten für ein stabiles Europa?
Spät versucht sich jetzt Parteichef und Vizekanzler Philipp Rösler von der Politik der ausufernden Rettungsschirme abzusetzen und den Maulkorb der Kanzlerin abzuschütteln. Die Liberalen haben endlich erkannt, daß keine weiteren Kompetenzen an ein Europa, das keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt, abgegeben werden dürfen. Wenn Rösler eine „geordnete Insolvenz“ Griechenlands nicht mehr ausschließt, trifft er den Nerv der Bevölkerung. Andere Liberale, wie Bundestags-Vizepräsident Hermann Otto Solms, werden da noch deutlicher: Griechenland ist ein Faß ohne Boden und nur zu retten, indem es gezwungen wird, die Währungsunion zu verlassen.
Wie schlimm es nicht nur um die liberale Partei, sondern um die deutschen Parteien insgesamt steht, zeigt allein das Ergebnis der Meinungsforscher nach Röslers Halbwahrheiten: Ein Plus von zwei Prozent vermeldeten sie für die FDP. Bemerkenswert der Aufschrei der „liberalen“ Presse, die sogleich den Wandel der FDP zu einer europakritischen populistischen Partei als Schreckensbild an die Wand zeichnet. Daß man es besser machen kann, zeigt Sachsen. Hier bekennt der konservative Landeschef Holger Zastrow, der auch FDP-Bundesvize ist, ganz offen, daß liberale Politik auch bedeutet, „daran zu denken, was für Deutschland das Wichtigste ist“.
Wenn die Liberalen jetzt darauf hinweisen, daß Eigenverantwortung nicht nur für Mittelständler zu gelten hat, sondern auch für Staaten und Großbanken, dann sind sie auf dem richtigen Weg. Genauso, wenn sie als Garanten für ein wirtschaftlich und finanzpolitisch stabiles Europa und als Schützer der Ersparnisse der kleinen Leute wahrgenommen werden wollen. Ob sie dabei Unterstützung in der CDU jenseits von Angela Merkel erhalten, sollte das Kriterium dafür sein, an der Koalition festzuhalten oder nicht.
Neue freiheitliche Partei in Sicht
Ein Gradmesser ist auch der Umgang mit dem Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm. Hieran kann sich erweisen, ob die Partei wieder bereit ist, bürgerliche Freiheiten zu verteidigen. Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal, ein wiederentdeckter „Markenkern“ der FDP; und es dürfte bei der nächsten Bundestagswahl gewiß mehr als fünf Prozent der Wähler ein Kreuz wert sein. Werden sich die Liberalen dazu aufraffen?
Falls nicht, müsse die Partei damit rechnen, daß einer „Gruppe von Leuten der Kragen platzt“ und diese eine neue Partei gründen, droht bereits Hans-Olaf Henkel. Und die könnte – außer beim Thema Euro – „verdammt große Ähnlichkeit“ mit der FDP haben.
JF 39/11