BERLIN. Der Berliner Abgeordnete Kai Gersch (FDP) rechnet nach der Wahlniederlage vom vergangenen Sonntag mit einem Linksruck seiner Partei. Gersch, der für den Berliner Bezirk Spandau im Abgeordnetenhaus saß und nun ausscheidet, sagte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Ich fürchte, die Partei wird wieder linker werden und beispielsweise die von mir und anderen eingebrachten Forderungen nach einem härteren Kurs in der Integrationspolitik abräumen.“
Gersch hatte ein Programm in der Partei durchgesetzt, daß FDP-intern als „Sarrazin-Papier“ bezeichnet wurde. Gersch war immer wieder durch Forderungen wie die nach einem „Aktionsplan gegen Deutschfeindlichkeit“ aufgefallen.
Der frühere stellvertretende Parteivorsitzende Jürgen Dittberner hieb indes in genau die Kerbe, die Gersch angedeutet hat. Im Tagesspiegel erklärte der prominente Vertreter des linken FDP-Flügels, die Partei müsse Schluß machen mit dem alten Konzept einer Politik für den Mittelstand. Seine Begründung: „Es gibt in Berlin gar keinen liberalen Mittelstand.“ Vielmehr müsse sich die Partei den „neuen Bürgerbewegungen“ und „neuen sozialen Netzwerken“ andienen.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte den Wahlkampf ihrer Berliner Parteifreunde. „Die Berliner FDP trägt mit ihrem klar europa-skeptischen Kurs auch Verantwortung für dieses Ergebnis“, sagte sie der Rheinischen Post.
Partei streitet um künftigen Kurs
Gersch hingegen erhebt schwere Vorwürfe gegen die eigene Partei, weil sie in der Steuer- und Euro-Frage nicht hart genug gewesen sei. Als Ursache für das Wahldebakel nannte er fehlerhafte Personalentscheidungen nach der Bundestagswahl. Hermann Otto Solms hätte Finanzminister werden und das Hauptanliegen der Liberalen – eine Steuerreform – in der Regierung durchsetzen müssen. Später wäre Rainer Brüderle der bessere Westerwelle-Nachfolger gewesen. Zudem habe die Partei den vielen Rettungspaketen zugestimmt. „Das macht viele an der Basis fassungslos“, sagte Gersch.
Die besagte Basis macht sich unterdessen im Internet Luft. Neben der Forderung nach mehr Standhaftigkeit in Sachen Euro dominiert dort der Ärger über das liberale Spitzenpersonal. So fordert Heinz T. im Facebook-Eintrag der Berliner Landespartei, die FDP müsse „sich auf Ihre Grundsätze“ besinnen, worunter er einen „harten Kurs gegen die Verschuldungsorgie, kein ESM, keine Aufweichung der Tarifautonomie durch sozialistische Mindestlöhne“ versteht. Sein Parteifreund Michael R. beklagte die Auswahl der Führungspersonals der Liberalen: „Stromlinienförmige Karrieristen“ hätten allerorts die „kompetenten Fachpolitiker“ abgelöst. Daniel Hammeley, ein Funktionsträger aus Berlin-Schöneberg, ärgert sich über das ständige „Parteigeklüngel“ der Führungsetage, der er empfiehlt „endlich mal in der freien Wirtschaft ein paar Euros zu verdienen, anstatt von meinen Steuergeldern so viel Mist zu fabrizieren.“
Hans-Olaf Henkel: diesmal nicht FDP gewählt
Auch der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und bekennende FDP-Sympathisant hat sich zur Lage der Partei geäußert. Zum ersten Mal seit langem habe er nicht für die Partei gestimmt, sagte er tagesschau.de. Der Grund: Der Anti-Euro-Wahlkampf der FDP sei nicht glaubwürdig gewesen. „Die FDP muß in der Euro-Politik klar Farbe bekennen und Flagge zeigen“, forderte Henkel, der darunter das Ende der Bail-out-Politik versteht.
Wie es mit den Liberalen in der Hauptstadt weitergeht, wird sich am Dienstagabend entscheiden. Auf einem kleinen Parteitag will die Partei über den Wahlausgang beraten. Es könnte zum Sturz des Landesvorsitzenden und gescheiterten Spitzenkandidaten Christoph Meyer kommen. Der 34jährige hatte die Schuld für die Niederlage auf sich genommen. Der Abgeordneten Sebastian Czaja hatte Meyer bereits am Wahltag zum Rücktritt aufgefordert. Als mögliche Nachfolger gelten Schatzmeister Lars Lindemann oder der Bundestagsabgeordnete Martin Lindner. (rg)
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Das ganze Interview mit Kai Gersch lesen Sie in der Druckausgabe der JUNGEN FREIHEIT, die am Freitag erscheint.