Gemeinsam mit dem Rest der Welt blickt auch Europa nach Japan. Heute in der Früh hatte fast jede Online-Ausgabe der überregionalen Tageszeitungen eben dieses Thema auf ihrer Startseite. Dieser Umstand ist so normal und unvermeidbar, daß er nicht beklagenswert, geschweige den moralisch zu verurteilen wäre. Medien sind nun mal so. Nur: Wäre Japan nicht in das Zentrum des Interesses gerückt, dann würden wir Leser von anderen Dingen unterhalten.
Vielleicht davon, daß der saudi-arabische König Abdullah Soldaten in den Bahrain schickt – spannend, wie sehr der weltweit größte Öllieferant von ähnlichen Dingen wie Ägypten und Tunesien bedroht ist. Wir wären vielleicht auch davon gefesselt, daß Oberst Gaddafis Truppen die Rebellen zu besiegen scheinen – faszinierend, wie dieser „Wahnsinnige“ vorerst doch nicht von lupenreinen Demokraten abgelöst wird. Wir Leser würden vielleicht von den Flüchtlingswellen vor Lampedusa unterhalten – schön gruselig, daß die jetzt alle nach Europa wollen.
Atomkraftwerke und Tsunamis stechen alles aus
Aber Atomkraftwerke und Tsunamis sind Trümpfe, die alles andere stechen. Jedenfalls bis eine weitere unterhaltsame Sau kommt, die wir durch das Dorf treiben können. Wie schön für die Atomkraftgegner: Schaut her, sagen sie, wir haben es doch immer schon gewußt. So blicken wir gebannt auf die Insel und wundern uns, daß ein Atomkraftwerk auch wirklich explodieren kann. Was für eine Überraschung! Und das soll jetzt der Anlaß sein, in einem erdbebensicheren und tsunamifreien Deutschland mehrere Atommeiler vorerst vom Netz zu nehmen? Ein paar Schlagzeilen aus Japan reichen aus, um die bisherigen Argumente für die Verlängerung der Laufzeiten zu entkräften? Was waren das dann für Argumente? Bitte, liebe Politiker, gebt uns bessere Gründe.
Ich bin froh über jede Fürbitte, jedes Gebet für die Japaner; es ist gut und richtig, finanzielle und tatkräftige Hilfe zu schicken; den Japanern gebühren Respekt und Achtung für ihre Disziplin im Umgang mit der Flutwelle und der Kernschmelze. Aber ich bin nicht schockiert, ich leide nicht mit ihnen, ihr Schicksal berührt meine Gefühle nicht. Ich habe immer noch keine Angst vor Atomkraftwerken. In Europa haben wir wahrlich andere, größere Probleme als eine Katastrophe am anderen Ende der Welt.