Freitagnachmittag: Ein gefrusteter Gregor Gysi betritt die „DB Lounge“ auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Es ist heiß in der Hansestadt. Gysi geht zur Kühltruhe, findet aber kein Eis vor. Nur ein paar Flaschen Pepsi light. „Mag ich nicht“, grummelt er und geht zum Getränkeautomaten. „Defekt“, steht an dem Gerät. Gysi wird sauer. Nichts klappt bei der Bahn, denkt er. Es ist wie bei ihm und der Linkspartei: Nichts klappt.
Auf Monitoren wird das Spiel Niederlande gegen Brasilien übertragen. Es steht 1:0 für Brasilien. Gysi schaut auf den Bildschirm und fragt dann, als würde der Stand nicht angezeigt: „Wie steht es denn?“ Jemand murmelt: „1:0 für Brasilien“. – „Aha.“ Die vier Männer schauen weiter gebannt auf das Spiel, niemand interessiert sich für Gysi. Enttäuscht gibt er seinen beiden Personenschützern ein Zeichen: „Wir müssen.“ Gysi, verbliebener Star und heimlicher Chef der Linkspartei, zieht von dannen, fährt nach Berlin zurück. Es war keine gute Woche für ihn.
Selten wirkte der heimliche Vorsitzende so ratlos wie bei der Wahl des Bundespräsidenten. Verschwitzt gab er vor dem dritten Wahlgang eine Pressekonferenz. Gysi war gereizt, pöbelte den Bürgerrechtler Werner Schulz an und schaufelte durch sein Verhalten einen weiteren tiefen Graben zwischen seiner Partei und den Wunsch-Koalitionspartnern Rot und Grün.
Es fehlt doch der große Populist
Die Linkspartei hätte sich durch die Wahl von Joachim Gauck mit einem Schlag vom Makel ihrer Stasi-SED-Vergangenheit lösen können. Sie hätte der Merkel-Regierung einen schweren Schlag versetzen und die Tür für künftige Bündnisse mit SPD und Grünen weit, weit aufreißen können. Aber die Linken haben sich statt dessen lieber in ihr DDR-nostalgisches Schneckenhäuschen zurückgezogen, um ihre Kernwählerschaft nicht zu verprellen, die wahrscheinlich gerade mal ein Prozent ausmacht: alte Stasi-Täter und -Mitläufer, die so einen wie Gauck als Zumutung empfinden müssen. Deswegen wirkte Gysi so ratlos am Mittwoch.
Aber es gibt noch weitere Probleme für die Linkspartei, die jetzt zutage treten. Ohne Oskar Lafontaine ist die Partei aufgeschmissen, fehlt ihr doch der große Populist. Mit Feminismus und Antifaschismus alleine kann man keine Wahlen gewinnen.
Außerdem werden die SPD und die Grünen wieder für oppositionelle Wähler interessant. Sie sammeln einen Teil der Protestwähler ein, die vorher zur Linken übergelaufen sind.
Alle Umfrageinstitute prognostizieren seit der Bundestagswahl Stimmenverluste, und das ist erst der Anfang. Es liegen schwierige Zeiten vor der Partei, vor allem im Westen. Jetzt kommen noch schwerere Zeiten auf Gregor Gysi zu.