Es ist immer wieder beeindruckend, wenn am Erntedankfest jede Pfarrgemeinde sich bemüht, den Altarraum besonders schön zu gestalten. Die Früchte des Jahres sollen hier üppig zur Geltung gebracht werden. Doch auch in die Dekoration wird meist viel Zeit und Mühe investiert.
Dies soll ein Ausdruck unseres Dankes sein für die materiellen wie auch immateriellen Gaben, die uns Gott, unser Vater, täglich schenkt. Manchmal wird bei besonderen Gottesdiensten sogar ein ausführlicher Gabengang gehalten, um uns bewusst zu machen, was uns geschenkt wird.
Früher, als die meisten Menschen noch von der Landwirtschaft lebten, war der Bezug zum Schöpfergott noch deutlicher in der Bevölkerung verankert. Heute kann man alle Produkte jederzeit im Supermarkt kaufen, und für viele ist das Vorhandensein von Nahrungsmitteln zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Danken wird daher gerne vergessen oder auf diesen einen Pflichttag beschränkt.
Eine Mahlzeit ist mehr als nur Nahrungsaufnahme
Jede Mutter weiß, wie mühsam es sein kann, ein Kind immer wieder daran zu erinnern, daß man „bitte“ und „danke“ sagt. Sie weiß ebenso, daß ein großzügiges Muttertagsgeschenk keinerlei Wert hat, wenn das ganze Jahr über keine Dankbarkeit gezeigt wird. Auch die Kirche als Mutter erinnert die Gläubigen in jeder heiligen Messe an die Notwendigkeit des Dankens: „Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott.“
Während bei der Messfeier hauptsächlich der Dank für das Erlösungsgeschehen artikuliert wird, hat der Dank für die Gaben der Schöpfung in erster Linie im Tischgebet seinen Platz. Dieses ist gewissermaßen ein tägliches kleines Erntedankfest. Dazu sollte auch beim Essen eine entsprechende Form eingehalten werden.
Dort wo jedes Familienmitglied sich zu seiner Zeit aus dem Kühlschrank selbst bedient, geht nicht nur kulturell etwas verloren, sondern es schwindet auch das Gespür dafür, daß eine Mahlzeit mehr ist als nur Nahrungsaufnahme. Dann schwindet auf Dauer auch die Dankbarkeit.
Indem das Gebet uns daran erinnert, daß die Gaben auf dem Tisch keine Selbstverständlichkeit sind, richtet es unseren Blick auf die notleidenden Menschen der Erde und ruft uns unsere Verantwortung in Erinnerung.
Undankbarkeit als Kennzeichen unserer Gesellschaft
Schwierig wird es mit dem Tischgebet allerdings, wenn man in einem Restaurant ißt oder zum Essen eingeladen ist. Immer wird jedoch ein schlichtes Gebet in Stille möglich sein. Wenn man die Gastgeber etwas näher kennt, wird man leicht beurteilen können, ob sogar ein gemeinsames Gebet möglich ist. Denn das Gebet wirkt immer auch gemeinschaftsstiftend.
Auch Menschen, die keine so enge kirchliche Bindung haben, nehmen bei besonderen Anlässen ein Tischgebet dankbar an, weil dadurch das Essen einen festlichen Rahmen erhält und auf eine höhere Ebene gehoben wird – auf die Beziehung zwischen Mensch und Gott.
Ein Kennzeichen unserer Gesellschaft ist die heute weit verbreitete Undankbarkeit – sowohl gegenüber den Mitmenschen als auch gegenüber Gott. Den gläubigen Menschen erkennt man oftmals daran, daß er nicht alles als selbstverständlich hinnimmt, nicht nur Forderungen stellt, sondern in Dankbarkeit das Erhaltene zu würdigen weiß. Dies geht nicht ohne tägliche Einübung. Das regelmäßige Tischgebet ist hierzu der erste Schritt.