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Eifriger Surfer auf der Empörungswelle

Eifriger Surfer auf der Empörungswelle

Eifriger Surfer auf der Empörungswelle

 

Eifriger Surfer auf der Empörungswelle

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In intoleranten Zeiten kann man häufig folgendes Phänomen beobachten: Tritt jemand auf, der gesellschaftliche Mißstände zu kritisieren wagt, so mischen sich in den Sturm der Entrüstung auch Stimmen, welche die Kritik eigentlich gerne aufgreifen würden. Tugendhaft wie die Nachbarn schlagen sie zwar auch auf den Erstling ein, um dann aber doch dessen Argumente vorsichtiger zu wiederholen in der Hoffnung, selbst von der Empörung verschont zu bleiben.

Auch im Falle von Thilo Sarrazin (JF  42/09) ist dies zu sehen. So sprach der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) von einer „ungeschickten Wortwahl“ seines Parteifreundes, nutzte aber die Gelegenheit, nicht minder kräftig gegen die von diesem kritisierte Alimentierung der türkischen Unterschicht zu holzen.

Ein besonders skurriler Surfer auf der Empörungswelle ist der aus Rumänien stammende Schriftsteller Vlad Georgescu, der gemeinsam mit Marita Vollborn mehrere erfolgreiche Ratgeberbücher verfaßte. Weil er Sarrazins Äußerungen als Beleidigung empfinde, habe er eine Einwandererpartei gegründet, verkündete Georgescu im Zuge der Sarrazin-Affäre. Betrachtet man das nun vorliegende Programm der „Vereinigten Migrantenpartei Deutschland“, so entbehrt diese Behauptung nicht einer gewissen Komik. Denn würde man Sarrazins Interview in ein Parteiprogramm übersetzen – es käme wohl in etwa das gleiche heraus.

Kanadisches Punktesystem als Vorbild

So hatte sich der Berliner Ex-Finanzsenator entschieden für eine Einwanderung von Hochqualifizierten ausgesprochen. „Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest soll woanders hingehen.“ Bei Georgescu heißt es nun, daß man sich „für eine Einwanderungspolitik nach kanadischem Muster“ einsetze. Ein „Punktesystem“ solle eingeführt werden, „das Deutschland den Zustrom gutausgebildeter Fachkräfte und integrationswilliger Migranten sichert und das die bestehenden Fähigkeiten der Einwanderer vor der Einreise evaluiert“.

„Die Vereinigte Migrantenpartei wird schlecht integrierte Gruppen mit kritischen und unbequemen Fragen konfrontieren müssen“, formuliert Georgescu als ein wesentliches Anliegen. „Bestehende Integrationsprobleme einzelner Gruppen werden wir (…) weder beschönigen noch totschweigen. Im Gegenteil: Wir werden die Ursachen suchen und politische Fehlentscheidungen aufdecken.“ Ebendiesen Wunsch hegt auch Sarazzin, der in seinem Interview mit der Zeitschrift Lettre international Osteuropäer lobend hervorhob: „Sie sind integrationswillig, passen sich schnell an und haben überdurchschnittliche akademische Erfolge.“

Es sei dahingestellt, wie sich der studierte Chemiker Georgescu überhaupt von Sarrazin angegriffen fühlen darf. Fakt bleibt jedenfalls, daß jener der Gesetzestreue von Einwanderern und damit potentiellen Parteimitgliedern wohl selbst etwas mißtrauisch gegenübersteht. Neben dem ausdrücklichen Bekenntnis zum Grundgesetz muß dem Antrag auf Parteimitgliedschaft ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis beigelegt werden. Auch jemand, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, „wird automatisch ruhendes Mitglied und ist nicht mehr stimmberechtigt“.

Vielleicht ein Versteckspiel mit Methode. Politisch korrekt warnte Georgescu vor zwei Jahren in seinem Buch „Brennpunkt Deutschland“ vor einem „Wiedererstarken der NPD“. Dabei sprach er freilich in einem eigenen Abschnitt „die Rückkehr der bewaffneten Linken“ an. Streckenweise wurden NPD und Linkspartei sogar als Symptom einer Destabilisierung gleichgesetzt. „Bleibt alles so, wie es ist, steht unser Land vor einer Zeit der Revolten.“

Ein Jahr später nahm das umtriebige Autorenpaar Georgescu/Vollborn den Klimawandel ins Visier. Zwar bediente man sich des üblichen apokalyptischen Vokabulars, doch provozierte „Prima Klima“ mit einem abgeklärten Blick auf eine mögliche Zukunft Mitteleuropas, die „auch Chancen bietet“. Deutschland könne sogar „als eines der wenigen Länder vom Klimawandel profitieren“. Das Parteiprogramm steht also in einer gewissen Tradition.

Allerdings dürfte eine solche Taktik schwerlich vor dem Bannstrahl politischer Korrektheit schützen. Salim Harmanc aus Neukölln erstattete Anzeige gegen Sarrazin, weil er sich durch

dessen Äußerungen „beleidigt“ fühle. Sollte Georgescus Partei einmal die Wahrnehmungsschwelle überspringen, werden sich wieder einige „beleidigt“ fühlen und auf Strafverfahren drängen. Was in diesem Fall das amüsante Ergebnis hätte, daß ein Parteivorstand gemäß eigenen Statuten das Stimmrecht verlieren würde.

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