Wer im Bund steht, kann nicht sinken“, verkündete einst Hans Blüher, der den Männerbund als Bastion zur Bewahrung der männlichen Essenz und Schutzwall gegen ihre Beschlagnahme durch Frauen, Familie und bürgerliche Gesellschaft konzipierte. Daß der Männerbund allerdings auch eine hinabziehende Wirkung entfalten kann, zeigt der Spielfilm „66/67 – Fairplay war gestern“ des Gespanns Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser.
Der „Bund“ erscheint hier in Form einer Gruppe von Fans des Fußballvereins Eintracht Braunschweig, die auf einen harten Kern von sechs Freunden heruntergeschmolzen ist. Unter ihnen findet sich der mit seinem Diplomabschluß und den Frauen ringende Florian (Fabian Hinrichs), der homosexuelle, von insgeheimen Todessehnsüchten getriebene Otto (Christoph Bach), der türkische Barmann Tamer (Fahri OgünYardim), der Polizist Henning (Maxim Mehmet) und der psychisch labile Christian (Christian Ahlers).
Ihr „Männerbund“ befindet sich schon zu Beginn des Films im Niedergang: Der Titel „66/67“ verweist auf jene mythische, viele Jahrzehnte zurückliegende Saison, als Eintracht Deutscher Meister wurde. Den Kitt der Gruppe bildet jedoch nicht nur der glanzvolle Fetisch des Fußballvereins mit seinen Emblemen, Reliquien, Liedern, seinen Heroen und Siegen von vorgestern, sondern auch die nostalgische Erinnerung an ein gemeinsam geteiltes rauschhaftes Hochgefühl, zu dem auch die Schlägereien mit gegnerischen Fans gehören.
„66/67“ zeigt seine Protagonisten im Banne eines verbissenen, irrationalen Festhaltens an einem Kult, dessen Kern die Sucht nach archaischer Männlichkeit und ekstatischen Gruppenerlebnissen bildet – inkommensurable Erfahrungen, denen selbst dann die Treue gehalten wird, wenn es das eigene Leben nachhaltig beschädigt. Wer sich in Beruf und Familie abgeseilt hat, wird als „Verräter“ geächtet, während Frauen, die als Eindringlinge von außen an die „Bundesmitglieder“ herantreten, sofort daraufhin abgeklopft werden, inwiefern sie dem großen Ganzen schaden könnten. Immer mehr zeigt sich, daß die Verhaftung an die Mystik des Fanclubs die inneren Dämonen eher befördert, als sie zu bannen, mit einem katastrophalen Ergebnis.
„66/67“ ist keine realistische Milieustudie über Eintracht Braunschweig und seine Fans. Er steht Fellinis „Vitelloni“, dem frühen Martin Scorsese und David Finchers „Fight Club“ näher als Filmen wie „The Football Factory“ oder „Fever Pitch“. Der verbal artikulierte, zum Teil nervös-neurotische Habitus der Darsteller ähnelt kaum den realen, eher proletarischen Exponenten der gewalttätigen „Kategorie C“-Szene unter den Hooligans. Der Kult um den Fußball wird zur Metapher für ein Lebensgefühl, für die Unruhe nicht mehr ganz so junger Männer, die sich hartnäckig dem Übertritt in die bürgerliche Ordnung und das Erwachsenwerden verweigern.
Wie in ihrem Langfilm-Debüt, dem bizarren Road Movie „Detroit“ (2003) und ihrem Beitrag zu dem Episodenfilm „1. Mai – Helden bei der Arbeit“ (JF 2/09) bewegen sich Ludwig & Glaser stets eine – oft nur hauchdünne – Spur neben der Realität, um das Innere ihrer Antihelden besser sichtbar werden zu lassen. Dabei schlagen sie auch unvermutet surreale Bahnen ein, etwa wenn Otto und Florian sich nach Konsum einer ominösen Pille plötzlich auf den Straßen von Istanbul wiederfinden, ohne im geringsten darüber in Erstaunen zu geraten.
Die große Stärke dieses Ensemblefilms ist seine überaus geglückte Besetzung, allen voran Fabian Hinrichs und Christoph Bach, der zuletzt im Fernsehen als Rudi Dutschke zu sehen war und hier erneut seine eindringliche Kamerapräsenz unter Beweis stellt. „66/67“ versteht es, den Glanz, dem seine Figuren erlegen sind, ebenso zu evozieren wie seine Abgründe aufzudecken, und zeichnet ganz nebenbei das Stimmungsbild eines Deutschland, in dem Hartz IV, Existenzangst und Banalität regieren, mit nur wenigen Ventilen für das Monumentale und das Außerordentliche, das nur mehr im Schatten korrumpierter Sehnsüchte fortlebt.
Foto: Eintracht-Fans im Film: Männerbund mit inneren Dämonen