Klar ist „Die Päpstin“ das Kinoereignis des Jahres – so wird es auf der x-ten Neuauflage des gleichnamigen Buches von Donna Cross annonciert. Ja, das mag stimmen – zumindest unter kommerziellen Gesichtspunkten. 23 Filmtheater allein in Berlin zeigen den zweieinhalbstündigen „Historienstreifen“. Bei anderen hervorragenden Filmen exzellenter Regisseure kursieren zuweilen gerade ein Dutzend Kopien – bundesweit.
Das zugewiesene Genre gehört deshalb in Anführungszeichen, weil es sich bei dieser Lebensgeschichte der Päpstin Johanna um weniger als eine Legende handelt. Die Existenz einer Frau, die als Mann verkleidet im frühen Mittelalter auf dem Stuhl Petri thronte, wird nicht nur von der theologischen (katholischen wie protestantischen) Zunft bestritten. Die gesamte seriöse Forschungsliteratur verweist die Geschichte ins Reich der Märchen – und das übrigens schon seit ein paar hundert Jahren. Aber was gelten schon Erkenntnisse der Wissenschaft, wenn ein Mythos erst einmal etabliert wurde?
Unters gemeine Volk gebracht hat die Legende nicht jener Dominikanermönch Martin von Troppau, der im 13. Jahrhundert eine zeitgenössische Satire auf den damaligen Papst verfaßte. Daraus bauten sich allenfalls mittelalterliche Verschwörungstheoretiker ihren Stoff. In die Herzen und Hirne von Millionen Hausfrauen und anderen Lesehungrigen brannte die Amerikanerin Donna Cross 1996 die populärfeministische Aufstiegs- und Erweckungsgeschichte eines weiblichen Genies aus armem Hause.
Dabei ist es nicht mal ein Haus, sondern eine Hütte, in der Johanna unter Höllenqualen nahe Ingelheim zur Welt kommt. Die Mutter (schon großartig: Jördis Triebel) hält es heimlich noch mit den alten Göttern, der Vater ist Pfarrer der Siedlung, ein früher Radikalchrist, brutal, gemein, ein eminent frauenfeindlicher Vergewaltiger. Die kleine Johanna entpuppt sich als Wunderkind. Da ihr jeglicher Unterricht verweigert wird, legt sie mit Buchenstäben lateinische Sätze, wird rasch heilkundig und ist auch ingenieursmäßig begabt: ein Universalgenie. Ihr Platz soll so natürlicher- wie ungerechterweise am Herd sein, seinen bildungsunfähigen Sohn Johannes will der Vater hingegen an der Schola unterrichtet wissen. Johanna, unbeugsam und wißbegierig, reißt aus. An der Schola übertrumpft sie mit Wissen und Fähigkeiten alle Mitschüler und gar ihren geistlichen Lehrer.
Kurz nachdem die Liebe zwischen ihrem Gönner, dem verheirateten Graf Gerold (David Wenham), und Johanna (von jetzt an: Johanna Wokalek) offen entbrannt ist, muß der Geliebte gegen die Normannen ziehen. In der Minute, als eine Zwangsehe zwischen ihr und einem Handwerker vollzogen werden soll, fallen Normannen in die Kirche ein und töten alle Anwesenden – bis auf Johanna.
Fortan geht sie ihren Lebensweg als Mann: Sie trägt über der abgeschnürten Brust ein Männergewand und kurzes Haar. Dem aufnehmenden Benediktinerkloster in Fulda wird Mönch „Johannes“ bald unverzichtbar. Sie heilt, schreibt und lehrt wie kein anderer, immer in der Angst, enttarnt zu werden. Bald muß sie auch von hier fliehen. Im Jahr 840 pilgert sie nach Rom und erwirbt sich dort schnell den Ruf eines Wunderheilers und die Gunst des kranken Papstes Sergius (John Goodman), dessen Stuhl von Emporkömmlingen bereits angesägt ist. Nun steht Frankenkönig Lothar vor den Toren – flankiert von Graf Gerold. Lothar muß sich beugen, Gerold und Johanna erkennen einander; im Doppelsinne freilich.
Unterdessen wird Sergius vergiftet. Weil gegen den neuen Papstanwärter böse Vorwürfe laut werden, deren Richtigkeit Johannes bezeugen kann, wird ausgerechnet sie/er (wider Willen) zum Gegenkandidaten – und schließlich auf den Thron gehoben. Als Papst setzt die Gute ihr riskantes Spiel fort, hilft den Armen, leitet progressivste Reformen ein. Und dann wird sie von Gerold schwanger …
Soweit die Geschichte, die in Sachsen-Anhalt und Marokko gedreht wurde. Regisseur Sönke Wortmann inszeniert den farbprächtig-monumentalen Bilderreigen artig und ohne erkennbare Handschrift. Anders als bei seinen früheren Werken wie „Kleine Haie“ (1992), dem dezidiert politisch-unkorrekten Streifen „Der Campus“ (1998) und seinem grandiosen „Das Wunder von Bern“ (2003) wird hier mit Äußerlichkeiten geglänzt. „Die Päpstin“ ist ein leicht konsumierbarer Film für ein Massenpublikum geworden. Die Kamera führte mit Tom Fährmann (Sohn des Schriftstellers und diesjährigen Großjubilars Willi Fährmann) ebenfalls einer der Großen des Fachs.
Da die Buchvorlage allein in Deutschland fünf Millionen Käufer fand, wird das gewaltige Budget des Films nicht in den Sand gesetzt worden sein. Die Rollen wurden international besetzt, Drehsprache war Englisch – lustig, daß die Synchronstimme eines Jungen unverkennbares Hessisch spricht.
Ursprünglich hatte man Volker Schlöndorff als Regisseur gewonnen, der sich nach längerer Arbeit am Stoff jedoch weigerte, den Film auf spätere Fernsehgerechtigkeit hin zu entwerfen.
Fragwürdig ist einmal mehr die Alterseinstufung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die „Die Päpstin“ bereits für Zuschauer ab zwölf Jahren freigegeben hat. Bilder von abgeschlagenen Köpfen, Blutfontänen und Vergewaltigungen sind gerade in dem Alter verzichtbar.
Foto: Johanna (Johanna Wokalek) wird zum Papst geweiht: Populärfeministisches Geschichtsmärchen