Mit ihrer Zustimmung zum Lissaboner Vertrag ist es den Iren nicht nur gelungen, ihren Ruf zu korrigieren, undankbare Querulanten zu sein. Zugleich haben sie auch grundsätzliche Bedenken, die immer wieder gegen Referenden erhoben werden, ein klein wenig entkräftet. Wenn die politische Führung eines Landes, die wie die irische nur über geringes Ansehen verfügt, die Bevölkerung zur Entscheidung einlädt, muß sie nicht automatisch befürchten, daß es zu einem ihren Wünschen zuwiderlaufenden und damit irrationalen Ergebnis kommt. Das Votum der Wähler läßt sich nicht nur in einer strikt repräsentativen Demokratie kanalisieren. Staatspolitische Notwendigkeiten und der Mehrheitswille der Bürger können mit tolerablen Risiken auch plebiszitär zur Übereinstimmung gebracht werden.
Für die weitere Verfassungsentwicklung der europäischen Demokratien und vielleicht auch der EU insgesamt ist dies von großer Bedeutung. Die Legitimität einer modernen Staatsordnung fußt darauf, daß das Gefühl, die Wähler sprächen das letzte Wort und könnten die Regierung auf ihre Interessen verpflichten, breit verankert ist. Mehrere Jahrzehnte lang schien dies allein durch den Parlamentarismus in ausreichendem Maße gewährleistet.
In jüngster Zeit ist dessen Ansehen jedoch zusehends erodiert, die sinkende Wahlbeteiligung ist ein Indiz dafür, daß selbst Deutschland hier keine Ausnahme mehr darstellt. Insbesondere in langwierigen Modernisierungsprozessen und Krisen ist es Regierung und Parlament kaum mehr möglich, eine Politik zu betreiben, mit der sich die Bevölkerung identifiziert. Die Folge ist, daß sich die Einschätzung breitmacht, der Bürger könnte zwar zwischen Parteien entscheiden, die gewählten Mandatsträger würden sich dann aber mit dem Verweis auf sogenannte Sachzwänge nicht mehr an ihre Programme und Versprechen gebunden fühlen.
Hier könnte die behutsame Einführung plebiszitärer Elemente in die politische Praxis Abhilfe schaffen und wieder für mehr Zufriedenheit und damit auch mehr Stabilität der demokratischen Institutionen sorgen. Voraussetzung dafür ist, daß die politischen Eliten sich dieses Instruments verantwortungsvoll bedienen und keine Abstimmungen anberaumen, bei denen ein destruktives Votum der Bürger zu befürchten ist.
Dann ist es auch möglich, die Chance zu nutzen, die Referenden bieten: Sie sollen nicht die Entscheidungshoheit von der politischen Führung auf die Bevölkerung zurück übertragen, sondern Konsens zwischen Regierenden und Regierten zum Ausdruck bringen.