Die Idee war gut. Bei ihrem Wahlkampfauftakt am Sonntag im Düsseldorfer „ISS Dome“ hatte die CDU Zubringerbusse organisiert. So waren An- und Abfahrt der über 9.000 Besucher schnell und unkompliziert geregelt. Dennoch spricht der Blick in die Gesichter der Parteianhänger Bände. Das Wort Enttäuschung fällt nicht. Und doch ist es auffällig ruhig, als sich der Bus mit den Treuesten der treuen CDUler auf den Rückweg macht. „Schade, daß so viele Plätze leer geblieben sind“, entfährt es einer älteren Dame mit silbergrauem Haar. Euphorie klingt anders.
Dabei hatte Angela Merkel schon weitaus emotionslosere Reden gehalten. Und auch diesmal läßt der Beginn ihrer Ausführungen Schlimmes vermuten. Wieder eine dieser kühlen, trostlos-technokratischen Reden, gespickt mit nichtssagenden Floskeln, die ihr in den vergangenen Tagen und Wochen nicht nur von der politischen Konkurrenz zum Vorwurf gemacht wurden. Es mag ein Resultat dieser von der Kanzlerin mit Kalkül geführten Wahlkampfverweigerung sein, daß die obersten Ränge linksseits der Bühne leer blieben und auch auf den volleren Rängen gelichtete Reihen auszumachen sind. Vorbei sind die Tage, als die Union ihre legendären Wahlkampferöffnungen vor 20.000 Teilnehmern in der Westfalenhalle von Dortmund hinlegte. Als Theo Waigel oder Norbert Blüm für „Freiheit statt Sozialismus“ kämpften und Rot-Grün für ihr Zusammengehen mit den SED-Nachfolgern angriffen. Als 1994 „Jetzt geht’s los“- Rufe wie ein Aufbruchssignal durch die Halle fegten, die Basis lautstark „Politik ohne Bart“ einforderte und
Jungunionisten einen riesigen Naßrasierer in die Höhe reckten, mit dem sie Rudolf Scharping „rasieren“ wollten.
Im Jahr 2009 ist „Aufbruch“ in der Union ein Fremdwort. Auf dem Podium sitzen die CDU-Größen. Hübsch aufgereiht, wie für ein Klassenfoto einbestellt. Als Lehrer fungiert Horst Seehofer. Der CSU-Chef, sonst schon mal ruppiger mit Merkel und der Schwesterpartei umgehend, hat heute Kreide gefressen, verteilt gleich zuhauf gute Noten für die Unions-Ministerriege. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wird von ihm gar mit dem Prädikat „Wurzel der Nationalen und Konservativen in der Union“ ausgezeichnet. Sein bester Spruch: „Wo Angela Merkel draufsteht, da ist auch Angela Merkel drin. Wo Steinmeier draufsteht, da ist Lafontaine und Gysi drin.“ Es ist zumindest mehr als Ronald Pofalla den CDU-Anhängern bietet. „Wir sind die stärkste Kraft, weil wir starke Kräfte haben“, lautet seine Botschaft an die Parteibasis.
Merkel ist der Versuch, Kontraste zu erzeugen, nicht abzusprechen. Sie trägt ein weißes Sakko zu einer schwarzen Hose. Sie sagt, daß es unter Rot-Grün über fünf Millionen Arbeitslose gab und daß es jetzt nur dreieinhalb seien, weil nun die Große Koalition regiert. Sie führt aus, daß „diese Regierung unser Land vorangebracht“ hat. Sie räumt ein, daß die SPD da natürlich dran mitgewirkt habe. Aber nun sei es genug davon. „Gönnen wir ihnen eine Pause und zwar in der Opposition“, appelliert sie. Doch der Funke will nicht überspringen. Noch nicht. Merkel legt nach, wird schärfer, für ihre Verhältnisse messerscharf. Die SPD fahre eine „Schwarz-gelbe-Socken-Kampagne. „Aber gleichzeitig wollen sie mit der FDP in einer Ampel-Koalition regieren“, bläst die Parteichefin zum Angriff. Gejohle bei den Unionsanhängern, Wahlkampfstimmung kommt auf. „Angie-Plakate“ werden emporgereckt. Und die Kanzlerin legt nach: „Wie realitätsfremd muß man sein, wenn man 10, 18 und 24 Prozent als Erfolg wertet?“ hält sie der SPD deren schöngerechnete Landtagswahlergebnisse in Sachsen, Thüringen und im Saarland vor Augen. Eine Breitseite mit Bumerang-Effekt. Denn natürlich hätte sie auch die Zahlen 11 und 13 nennen können. Die Höhe der am 30. August eingefahrenen prozentualen Verluste der Union.
Merkel spricht darüber nicht, spart die Landtagswahlen bis auf die SPD-Attacke aus. Vielmehr lobt sie die NRW-CDU und „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers für dessen „hervorragendes Ergebnis“ bei den Kommunalwahlen. Da hatte die Union landesweit 4,5 Prozent und in der Prestige-Stadt Köln den Oberbürgermeister verloren. Apropos Rüttgers: Der redet bereits vor Merkel. Und hat den Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ aus der Kohl-Ära wohl etwas anders verstanden. „Die Marktradikalen haben uns in die Krise geführt“, übernimmt er das Sprachvokabular sozialistischer Politiker unter dem Beifall der Christdemokraten. „Das Casino darf nicht mehr eröffnet werden“, erklärt er dem Kapitalismus den Krieg und wettert gegen die Banken.
Unterdessen verteilt auch Merkel Kopfnoten für ihre Minister. Sie lobt die Familienpolitik Ursula von der Leyens. Und watscht bei dem Thema einen Satz später auch noch schnell Horst Seehofer ab. „Die Bayern hatten ja erst ein wenig Angst, aber jetzt sind auch sie zufrieden.“ Gelächter im Plenum. Und ein überraschter Horst Seehofer, der sich – wohl nicht mit einer derartigen Spitze der Kanzlerin rechnend – erst einmal die Krawatte glättet.
Ein Kabinettsmitglied erhält von der Regierungschefin ein ganz besonderes Lob. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, Sohn des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr Ulrich de Maizière, Cousin des als Stasi-IM Czerny enttarnten Lothar de Maizière und Neffe des langjährigen Stasi-Mitarbeiters Clement de Maizière, der wiederum zu DDR-Zeiten ein enger Gesprächspartner von Merkels Vater Horst Kasner war. Sie wolle nicht aus dem Nähkästchen plaudern, sagt „Angie“ in Richtung des deutschen Geheimdienstkoordinators blickend. „Aber ohne ihn wäre ich heute nicht Kanzlerin.“
Foto: CDU-Anhänger in Wahlkampfkleidung: „Wo Angela Merkel draufsteht, da ist auch Angela Merkel drin“