Held sein, kämpfen, Beute machen. – Natürlich, darum geht es. Doch welche Wandlungen erfährt der Krieg im Zeitalter seiner mentalen Ächtung durch die westliche Zivilisation? Kürzlich hat der Philosoph Peter Sloterdijk eine Analogie zwischen den abendländischen Konquistadoren und Kriegsabenteurern und den heutigen Großaktionären und Top-Managern herzustellen versucht: Die Alphatiereigenschaften der einen zeigten sich (notwendig) in mutierter Form auch bei den anderen. Der internationale Finanzmarkt sei ein großer Eroberungskrieg, der die gleichen „Typen“ auf den Plan rufe wie einst die Inbesitznahme fremder Länder.
Das Geld ist aus dem Tieropfer hervorgegangen, woran der „Obolus“ noch erinnert. Das Tieropfer wiederum hat das Menschenopfer abgelöst. Die sozialpsychologische Verbindung von „Blut“ und „Geld“ ist seit jeher evident – und beides dem Menschen „heilig“. Was also, wenn das Wort vom „Händler und Helden“ (Werner Sombart) gar keinen Gegensatz mehr bezeichnet? Wenn die religiöse Komponente, die dem Geld stets innewohnte, der Metaphysik nicht mehr bedarf, um ur-menschliches und also allzumenschliches Verhalten „sittlich“ zu rechtfertigen?
Zum zweiten Mal wagte sich die junge Schauspielerin und Regisseurin Sarah Bennani (26) an diese heikle Thematik. Bereits am 16. Mai hatte sie am gleichen Ort, nämlich im Kubus der Berliner Volksbühne, mit einer Ernst-Jünger-Performance auf sich aufmerksam gemacht (JF 23/09), in der sie die Faszination des Krieges in seinen verschiedenen Facetten beleuchtete. Das war ihr Debüt als Regisseurin. „Leonidas/Stahlgewitter“ ist nun die veränderte und erweiterte Fassung jener Hommage an Ernst Jünger. Beide Stücke waren als einmalige Aufführungen angelegt. Doch inzwischen hat ihr die „Hommage“ bereits die Einladung zu einem Theaterfestival nach Brüssel eingebracht, wo sie „Leonidas“ erneut zeigen wird.
In Berlin geboren, aber algerisch-türkischer Abstammung, fehlt Sarah Bennani der Gehorsam zur Betroffenheit, der viele deutschstämmig-schuldversessene Intellektuelle so auffallend verkrampft und fixiert auf die Welt blicken läßt. Im Gegensatz zu dem wenige Meter weiter, auf der „Agora“ vor der Volksbühne inszenierenden Frank Castorf, scheint Bennani erfrischend frei von Neurosen zu sein. Während es in Castorfs aktuellem Stück, „Medea“, natürlich wieder einmal um Juden und SS-Erschießungskommandos geht, bleibt bei Bennani der Zeigefinger in der Faust verankert. Auf die obligatorischen Plattheiten und schulmäßig daherkommenden Bekenntnisse der BRD-Moralisten verzichtet sie ganz. Vergleicht man beide Aufführungen – die des etablierten Langweilers, der einfach nichts mehr zu sagen hat, mit jener der undogmatischen Jungregisseurin –, möchte man ausrufen: Liebe „Ausländer“, laßt uns mit den Machtkartellen deutscher Psychokrüppel nicht allein!
Bennani bietet, wonach kluges, durchdachtes, emotionales Theater verlangt: Eigenwilligkeiten, die vielleicht manchmal etwas kryptisch bleiben, aber dennoch überraschen. So der mänadisch-zuckende Ausdruckstanz, in den die Schauspielerinnen Maike Möller und Andrea Pani Laura an verschiedenen Stellen fallen, der bald auf die von Dämpfen berauschte Pythia als (Kriegs-)Orakel, bald auf den bekannten Dualismus von Lust und Schmerz anspielt. Oder der Crash-Kurs zum richtigen Verhalten in der antiken Phalanx mit imaginären Waffen. Drei Schauspieler, darunter die Kampfkunst-Akrobatin und Wushu-Meisterin Leyla Özbek, unterweisen drei aus dem Publikum Gegriffene in der Kunst des „Stoßens“ und „Deckens“, während ein smarter Entertainer ihnen einpeitscht: „So macht ihr euch fit für das nächste Bewerbungsgespräch.“ Dazwischen immer wieder Zitate aus Aischylos „Die Perser“, Jüngers „Stahlgewitter“ und „Feuer und Blut“: „Noch immer ist viel Tier in ihm.“
Der Mensch als ewig kriegstreibendes Wesen. Im Hintergrund laufen Filmsequenzen aus dem pseudohistorischen Fantasy-Spektakel und Persergemetzel „300“ von Zack Snyder (2007), die – obwohl sie an sich schon viel unfreiwillige Komik enthalten – durch synchrone Nachstellung auf der Bühne zusätzlich persifliert werden.
Gewiß, das alles ist noch kein ganz großes Theater. Soll es aber auch gar nicht sein. Der Ansatz jedenfalls überzeugt: Im Experiment ohne Selbstzensur Möglichkeiten ausloten und die eingezäunten Wege der moralisch genormten Vormacher verlassen – das bedeutet unter den gegebenen Umständen schon viel.
Wer die beiden bisherigen Aufführungen verpaßt hat, nicht verzagen: eine dritte, nochmals veränderte Variante ist geplant.
Foto: Le Corbusier inmitten seiner „Collection particulière“ im 2. Obergeschoß der Pariser Rue Jacob 20 (um 1931): „Ein Haus ist eine Maschine zum Wohnen“ – Auf diesen lebensfeindlichen Satz von 1921 gründete sein Verfasser, Le Corbusier (1887–1965), seine bis heute umstrittene „moderne“ Architektur. Dem Propagandisten einer solchen emotionslosen Moderne ist seit vergangener Woche in Berlin eine umfassende Werkschau gewidmet. Die etwa 380 Exponate umfassende Ausstellung ist bis zum 5. Oktober im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Eine ausführliche Besprechung folgt in einer der nächsten JF-Ausgaben.