Die vorgezogene Knesset-Wahl vom 10. Februar ging äußerst knapp aus: Tzipi Livnis regierende Kadima-Partei erreichte 28 Sitze. Der rechte Likud von Benjamin Netanjahu kam auf 27 Sitze. Der Oppositionsführer konnte aber für sich reklamieren, der Block rechter Parteien habe eine Mehrheit von 65 der 120 Sitze (JF 9/09). Folglich müsse er neuer Regierungschef werden. Der 2007 auf Vorschlag von Kadima zum Präsidenten gewählte Schimon Peres beauftragte daher entsprechend dem israelischen Wahlsystem den aussichtsreichsten Kandidaten mit der Regierungsbildung – Ex-Premier Netanjahu. Daß sich die Koalitionsverhandlungen lange hinziehen, war klar. Als zweiter Sieger stand Netanjahu nicht nur vor einer innenpolitischen Quadratur des Kreises, sondern er mußte auch die neue Linie der US-Nahostpolitik berücksichtigen, die einen Ausgleich mit den Palästinensern will. Eine „Große Koalition der nationalen Einheit“ mit Kadima hätte diesen Wünschen am ehesten entsprochen, doch Livni gab Netanjahus Werben nicht nach.
Er mußte daher mit kleineren, politisch teils scharf konkurrierenden Parteien versuchen, eine Mehrheit zu finden. Als erste holte er vergangene Woche die drittstärkste Partei Israel Beiteinu („Israel unser Haus“) des umstrittenen Rechtspopulisten Avigdor Lieberman ins Boot, dem er das Außenamt versprach. Als nächstes erzielte er mit der orientalisch-ultraorthodoxen Schas-Partei eine entsprechende Übereinkunft. Sie soll vier Ministerposten erhalten, ihr Parteichef Eli Jischai Innenminister werden. Damit waren zwar 53 Sitze erreicht, doch die Zeit wurde knapp für Netanjahu – denn in den ersten Apriltagen läuft sein Mandat zur Regierungsbildung aus.
Unter Zeitdruck und den Argusaugen Washingtons, sich nicht ausschließlich rechtsorientierten Partnern auszuliefern, umwarb er auch die sozialdemokratische Awoda von Ehud Barak. Trotz ihres Absturzes auf den vierten Platz will Netanjahu der Arbeitspartei fünf Ressorts überlassen und Barak als Verteidigungsminister behalten. Barak, der nur halbherzig den Gang in die Opposition antrat, setzte sich nun vehement für eine Regierungsbeteiligung ein: Man habe zu wählen „zwischen einer schmalen, extrem rechten Regierung und einer Regierung, in der die Arbeitspartei die linke Mitte repräsentiert und Einfluß ausübt“.
Barak scheint einer Umfrage zufolge zwei Drittel der Awoda-Wähler und einige Parteigranden wie den Gewerkschafts-Chef Ofer Eini hinter sich zu haben. Andere, darunter Parlamentarier, sind wiederum empört und meinen, daß sich die Partei in der Opposition erneuern sollte. Barak will nun eine Abstimmung im ZK der Arbeitspartei herbeiführen, deren Ausgang bei Redaktionsschluß noch nicht vorlag.
Wie Israels Armeeradio am Dienstag berichtete, verpflichtete sich Netanjahus Likud-Partei dazu, die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern fortzusetzen, die bisherigen Abkommen zu respektieren und weiterhin gegen ungenehmigte jüdische Siedlungen im Westjordanland vorzugehen. Wie das mit bestenfalls 66 von 120 Stimmen und einer zusammengewürfelten Koalition funktionieren soll, deren Halbwertszeit von vielen als gering eingestuft wird, wird Netanjahu erst noch erklären müssen.
Foto: Likud-Chef Benjamin Netanjahu: Nur unsichere Mehrheiten