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Disteln für Deutschland

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Als Joachim Fernau vor zwanzig Jahren, am 24. November 1988, verstarb, brachte die Frankfurter Allgemeine einen kurzen Nachruf, der alles enthielt, was das feindliche Feuilleton über ihn zu sagen wußte: die unbestreitbare Tatsache seines Erfolgs, die gewisse Bedenklichkeit seiner Auffassungen, dann — unvermeidbar — der Hinweis darauf, daß er als Kriegsberichterstatter noch im August 1944 den deutschen Siegeswillen beschworen habe, und zum Schluß, insinuierend, ein Zitat aus „Disteln für Hagen“: „Denn das ist es, was die Seele der Deutschen braucht: das Makellose, nicht die Wahrheit.“ Der herablassende Tonfall hätte Fernau nicht überrascht; solche „Würdigungen“ hat er zu Lebzeiten oft erfahren. Fernau wurde am 11. September 1909 im westpreußischen Bromberg als Sohn eines höheren Reichsbeamten geboren, seine Jugend von den Krisen der Nachkriegszeit überschattet: Der Vater war 1918 verstorben, zwei Jahre später mußte er mit seiner Mutter die polnisch gewordene Heimat verlassen, in Bad Warmbrunn und Hirschberg, kleinen Städten in Schlesien, wuchs er heran. Als er 1930 das Abitur ablegte, bestimmten schon die Agonie der Weimarer Republik und die Massenarbeitslosigkeit die Situation. Er wird dieser Zeit später in „Die jungen Männer“, einem seiner stärksten Romane, eine subtile und atmosphärisch dichte Darstellung widmen. Mit den Hauptfiguren hatte er das Zögern und eine gewisse Indifferenz gemeinsam. Später äußerte er, daß ihm seine ersten Lebensjahrzehnte wie „verlorene Zeit“ erschienen. Das politische Treiben berührte ihn kaum Fernau nahm zuerst in Breslau, dann in Berlin ein Studium auf, brach es aber rasch wieder ab und begann für Zeitungen zu schreiben. Das politische Treiben um ihn herum berührt ihn kaum, und er stand auch abseits, als der Enthusiasmus allgemein wurde. Fernau hatte vor 1933 keine Sympathie für den Nationalsozialismus erkennen lassen, und dabei blieb es auch nach der „Machtergreifung“. Er setzte seine Literatenexistenz fort und wechselte zwischen den Redaktionen, ohne feste Anstellung. Die private Lage änderte sich allerdings dramatisch, als er 1935 die Verlobung mit einer jungen Frau jüdischer Herkunft einging. Ein Schritt, der wegen der neu in Kraft getretenen Rassegesetze erhebliche Probleme heraufbeschwören mußte. Das Paar trieb für drei Jahre ein Versteckspiel mit den Behörden, und Fernau plante sogar, das Land zu verlassen; 1939 ging seine Verlobte mit ihrer Familie nach London, wo sie Fernau im August besuchte. Am 1. September war er zufällig nach Berlin zurückgekehrt und mußte bleiben. Er hielt die Verbindung noch zwei Jahre über das Rote Kreuz aufrecht, dann riß der Kontakt ab. Fernau war zu dem Zeitpunkt längst Soldat. Unmittelbar nach Kriegsbeginn eingezogen, arbeitete er als Kriegsberichterstatter und wurde 1940 zu einer Propagandakompanie der Waffen-SS überstellt. Er hat immer wieder betont, daß das ohne seine Beteiligung geschehen sei; in jedem Fall gehört er zur großen Zahl von Journalisten, die während des Zweiten Weltkriegs auf diese Weise Militärdienst zu leisten hatten. Besonders hervor trat er nicht — bis zu jenem 6. August 1944, als sein Artikel über neue Waffen, die noch zum Einsatz kommen und den Krieg zugunsten Deutschlands wenden könnten, in einer französischen Fassung über Radio Paris verlesen wurde. Den Text druckten zahlreiche Zeitungen nach, darunter auch der Völkische Beobachter, was Fernaus Gegner später Gelegenheit zu scharfen Angriffen geben sollte. Bei Kriegsende befand sich Fernau in Rottach am Tegernsee, wo der Deutschlandsender seine Arbeit fortsetzen sollte. Aber die Verantwortlichen waren schon geflohen. Er löste seine Truppe auf und demobilisierte sich selbst, wie das in jenen Wochen viele Hunderttausende deutscher Soldaten taten. Noch im Jahr der Niederlage mußte er mit seiner Ehefrau Gabriele, einer Enkelin des berühmten Pädagogen Georg Kerschensteiner, die er 1943 geheiratet hatte, in die britische Besatzungszone übersiedeln, wurde in Bielefeld entnazifiziert und ernährte sich mehr schlecht als recht vom Klavierspielen und kunstgewerblichen Arbeiten. Erst 1949 konnte er nach Bayern zurückkehren und siedelte sich dauerhaft in München an. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er auch verschiedene Texte — Gedichte und zwei dramatische Versuche — geschrieben, die das Erlebte zu verarbeiten helfen sollten. Veröffentlicht hat Fernau nichts davon, sondern vielmehr versucht, wieder als Journalist Fuß zu fassen. Der Plan scheiterte aber, und er begann statt dessen mit der Niederschrift eines Buches, das 1952 unter dem Titel „Deutschland, Deutschland über alles …“ erschien. Armin Mohler hat gemeint, daß es ihn zum „Nationalschriftsteller im alten Sinne des Wortes“ gemacht habe: „zu einem Schriftsteller, der zwar an den literarischen Börsen nicht gehandelt, dafür aber von seiner Nation (und darüber hinaus) gelesen wird“. Der Grund für den außerordentlichen Erfolg von „Deutschland, Deutschland über alles …“ war die Souveränität und die Eigenwilligkeit von Fernaus Zugriff, der fehlende Respekt vor fehlender Zuständigkeit, vor den üblichen oder neu eingeführten Urteilen, das Ironische und etwas Schnoddrige des Tonfalls. In sechzehn Kapiteln handelte er die deutsche Geschichte ab, setzte Zäsuren, wo das sonst niemand tat, verglich das Unvergleichbare — Napoleon und Hitler etwa — und landete in der Gegenwart an: „fertigmachen zum Zusammenbrechen“. „Deutschland, Deutschland über alles …“ war einer der Bestseller der jungen Bundesrepublik, obwohl oder gerade weil das Buch scharf angegriffen wurde, als Apologie unseliger Traditionen, „Dolchstoßlegende“, „Brunnenvergiftung“ etc. Fernau hatte seine Bestimmung gefunden, mit mehr als vierzig Jahren immerhin, und setzte seinen Erfolg fort, indem er nach der Geschichte der Deutschen die der alten Griechen („Rosen für Apoll“, 1961), der alten Römer („Cäsar läßt grüßen“, 1971) und der modernen Nordamerikaner („Halleluja“, 1977) oder Preußen („Sprechen wir über Preußen — Die Geschichte der armen Leute“, 1981) erzählte. Zudem befaßte Fernau sich mit eher Systematischem: der Demokratie („Fibel der Demokratie“, 1953); der Männerfrage („Bericht von der Furchtbarkeit und Größe der Männer“, 1954), dem Erotischen („Und sie schämeten sich nicht“), dem Nationalcharakter („Disteln für Hagen“, 1966) und der Theologie („Der Gottesbeweis“, 1967). Daneben sind auch Romane wie „Die jungen Männer“ (1960) oder Erzählungen wie „Die treue Dakerin“ (1974) zu erwähnen, kleinere Prosatexte und Gedichte, ein halbes Dutzend Drehbücher, zahllose Gelegenheitsschriften und — kaum erwartet — ein ins Englische, Spanische, Niederländische und Schwedische übersetztes Werk auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Sachbuch: „Knaurs Lexikon alter Malerei“ (1958). Der Malerei gehörte Fernaus Liebe sowie den Pferden und — der Toskana. Seit 1962 verbrachte das Ehepaar Fernau einen größeren Teil des Jahres bei Florenz, und Fernau schrieb erläuternd zu seiner typisch deutschen, aber dann doch ganz eigenen Südsehnsucht: „Ich bin nicht viel herumgekommen in der Welt. Am weitesten auf Militärfahrschein. Sehen also würde ich ganz gerne noch manches. Es kann sein, daß ich doch noch mal nach Afrika komme oder nach Thailand oder Japan. Ganz sicher aber weiß ich, daß ich mein Herz nicht mitnehmen könnte — es würde bleiben, wo es seit vielen Jahren ist: in der Toskana. Die Toskana ist die Verzeihung Italiens.“ Angreifer bedachte er mit sanftem oder scharfem Spott Die Sätze wurden 1968 veröffentlicht, in jenem Jahr, das die Apo auf ihrem Höhepunkt sah, während die linke Kulturrevolution schon länger im Gang war, die Fernau von vornherein als einen ihrer Gegner betrachten mußte. Das hat ihn nicht verdrossen, und obwohl die Angriffe heftiger wurden, bedachte er seine Kontrahenten meistens nur mit Spott, sanftem oder scharfem, Bitterkeit war nicht darin, allerdings spürte man das Selbstbewußtsein, bis an die Grenze der Arroganz — und wenn es Fernau richtig erschien: darüber hinaus. Er hat auch die folgenden zwei Jahrzehnte, sein siebentes und achtes, schreibend und malend (gelegentlich musizierend) verbracht, in München oder seinem geliebten Florenz, wo er auch verstarb. In „Deutschland, Deutschland über alles …“ heißt es an einer Stelle: „Friedrich den Großen kennen alle. Wenn es eine Weltrangliste an Popularität gäbe, so stünde er bestimmt gleich hinter Greta Garbo und Rita Hayworth an dritter Stelle, daran ist gar nicht zu zweifeln.“ Das macht etwas deutlich im Hinblick auf die Vergessenheit, in die Fernau seit seinem Tod allmählich geraten ist. Nicht, daß die Leute keine Ahnung mehr haben, wer Greta Garbo oder Rita Hayworth war, ist das Problem. Das Problem ist, daß die Leute nicht mehr wissen, wer Friedrich der Große war. Fernau hat für ein gebildetes Publikum geschrieben, für Menschen, die Kenntnisse in Geschichte und Literatur besaßen, mit Kunst und Theater in Berührung gekommen waren, ebenso mit Religion und Philosophie. Sie verstanden seine Fragestellungen und seine Anspielungen. Darüber hinaus wußten sie sich mit ihm in einem stillschweigenden Einverständnis, daß die nach 1945 durchgesetzten Sprachregelungen ebensolche waren, das heißt daß es Propaganda und Verfälschung der Wahrheit nicht nur früher gegeben hatte oder jetzt nur jenseits des Eisernen Vorhangs gab. Sie schätzten die kleinen Tabubrüche und solche Art seelischer Hygiene, die dem Schwachen oft als einzige bleibt. Als der Herbig-Verlag nach dem Zusammenbruch der DDR noch einmal eine Kassette mit den Hauptwerken Fernaus herausbrachte, war das Verkaufsergebnis enttäuschend — es lag nicht an Fernau, es lag an den Lesern. Foto: Joachim Fernau (1909—1988): Souveränität und Eigenwilligkeit

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