Die Harems sind abgeschafft – ich glaube, wir können bei der Gleichberechtigung hoffen.“ Wer glaubt, die Produzenten der ARD-Fernsehserie „Marienhof“, für die mit dem Satz „Es wird viel passieren“ geworben wird, hätten ihrer Figur Sülo Ötzentürk so einen Satz aus „politisch korrekter“ Überzeugung in den Mund gelegt, täuscht sich. Die Filmemacher der Produktionsfirma Bavaria haben sich dafür bezahlen lassen, daß ihr Serienheld nebenbei für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union wirbt. So sollen die Drehbuchautoren Sätze wie den folgenden in die „Dramaturgie“ der Seifenoper eingebaut haben: „Ich denke, die Türkei braucht einen starken Partner in den Punkten Menschenrechte und Wirtschaftsangelegenheiten. Und diesen Partner sucht sie auch, und so jemanden stellt sich die EU vor.“ Der Skandal erschüttert die Glaubwürdigkeit der ARD Das Ganze ist nur die Spitze des Eisberges eines Skandals, der seit einem Monat die Glaubwürdigkeit der ARD in ihren Grundfesten erschüttert. Vergangene Woche ging WDR-Chef Fritz Pleitgen in die Offensive und stellte sich in einer WDR-Sendung live den Fragen der Zuschauer. „Bei ‚Marienhof‘ hat eine Mitarbeiterin bitter dafür bezahlen müssen“, rechtfertigt sich der Intendant. Er spricht über Konsequenzen und fristlose Entlassungen vor allem bei der Filmproduktionsfirma Bavaria, deren Geschäftsführer Thilo Kleine seinen Hut nehmen mußte. Zunächst war er mit einer Abmahnung und der Rechtfertigung davongekommen, das sei alles streng legal, was sich bei „Marienhof“ abspiele. Die Vertragsstrafe sieht vor, daß Bavaria zehn Prozent der Summe für die betroffenen Marienhof-Staffeln – 119 von rund eintausend Folgen sollen es sein – an die ARD zurückzahlt. Die um ihr seriöses Image bemühte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt hat ihren Ruf damit aber natürlich noch nicht wiederhergestellt. In Zukunft werde er sich für härtere Vertragsstrafen stark machen, sagte ARD-Chef Thomas Gruber bereits Anfang Juli. Seine größte Befürchtung damals: „Nichts wäre schlimmer, als wenn scheibchenweise neue Fälle auftauchen.“ Genau diese Befürchtung ist jedoch eingetreten. Das Problem der Fernsehsender ist, daß die Zuschauer vor den Werbeblöcken regelmäßig Reißaus nehmen. Die Pausen werden zum Gang auf die Toilette, an den Kühlschrank oder zur Konkurrenz genutzt. Deswegen haben die Privatsender ihre Werbeblöcke vollständig aneinander angeglichen. Ihr Programm ist nachmittags problemlos austauschbar – belanglose Talk- und Gerichtshows. Deswegen senden sie die Werbung stets zur gleichen Zeit wie die Konkurrenz, damit die Zuschauer nicht den Kanal wechseln. Für die Sender heißt das allgemein: Neue Einnahmequellen neben der regulären „Spotwerbung“ erschließen, lautet die Parole. Im vergangenen Jahr betrugen die Einnahmen aus der regulären Werbung bei den Privaten laut Spiegel-Online 3,57 Milliarden Euro. Gleichzeitig konnten die Öffentlich-Rechtlichen nur 290 Millionen Euro einnehmen. Der Batzen kommt bei ARD und ZDF vom Gebührenzahler – über sechseinhalb Milliarden. Trotz der hohen Zahlungen für das teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Welt hat jedoch das stattgefunden, was Insider „Selbstkommerzialisierung“ nennen. Bei ARD und ZDF geht es immer mehr ums Geld. Für die Werbewirtschaft bedeutet das, Produkte im regulären Programm plazieren zu müssen, um die Zuschauer zu erreichen. Gerüchteweise gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Agenturen, die sich diskret auf die Vermittlung von Schleichwerbung spezialisiert haben. Es geht hierbei um mehr als Produktplazierung von Joghurtbechern oder Automarken. Wie das Beispiel „Marienhof“ zeigt, werden bereits ganze Dialoge zusammengezimmert, Handlungsstränge erdacht, die eine Werbebotschaft vermitteln. Das heißt: Werbende „kaufen“ die Dramaturgie einer Sendung. Beim WDR wurden nun 67 Fernsehproduktionen aus dem Programm entfernt. Sie werden gesondert überprüft, darunter 38 Folgen der Krimiserie „Tatort“. Mehrere Schimanski-Streifen der Bavaria-Tochterfirma Colonia Media sind betroffen. Deren Chef Frank Döhmann ist jetzt arbeitslos. Der WDR hat zu Beginn der vergangenen Woche zudem Anzeige wegen Betrug und Untreue gegen ihn erstattet. In den Krimis haben unter anderem eine Bausparkasse und ein Unternehmen der Versicherungsbranche Schleichwerbung plazieren lassen. Journalist deckt Fälle von Schleichwerbung auf Aufgedeckt hat diesen Skandal um Schleichwerbung Volker Lilienthal, ein Journalist von der Fachzeitschrift EPD Medien. Und das bereits vor zwei Jahren. Dann ist jedoch die Agentur H+S Unternehmensberatung gegen ihn vor Gericht gezogen. Als Folge durfte er über seine Erkenntnisse nicht sprechen und nicht schreiben. Ein Gericht hatte ihm ein Redeverbot auferlegt, an das er sich strikt zu halten hatte – per Einstweiliger Verfügung. Bei Zuwiderhandeln drohte ihm eine Millionenstrafe. Erst im Januar erlaubte das Oberlandesgericht München Lilienthal die Publikation seiner Erkenntnisse. Lilienthal: „Endlich durfte ich wieder frei arbeiten.“ Beim zweiten Skandal, der parallel seit Wochen schwelt, geht es um Sport. Auch hier kulminierten die schmachvollen ARD-internen Vorgänge Mitte Juli am gleichen Tag, an dem auch Thilo Kleine bei der Bavaria fristlos gefeuert wurde: An diesem Tag warf der Hessische Rundfunk seinen früheren Sportchef Jürgen Emig raus. Kurz darauf wurde Emig verhaftet. Bis Ende vergangener Woche saß er in Untersuchungshaft. Nach einem Teilgeständnis wurde er freigelassen – um am Dienstag erneut verhaftet zu werden. Sein Haftbefehl wurde um den Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung erweitert. Und auch sein früherer MDR-Amtskollege Wilfried Mohren arbeitet nicht mehr beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie auch? Schließlich wurde auch er nicht nur schimpflich entlassen, sondern wegen Verdunkelungsgefahr zusätzlich inhaftiert. Es war der „schwärzeste Tag der 55jährigen Anstaltshistorie“, behauptet Der Spiegel rückblickend. Beiden Fernsehjournalisten wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Mohren soll 150.000 Euro kassiert haben. Im Gegenzug ordnete er die Ausstrahlung bestimmter Sportereignisse an. Der Leipziger Volkszeitung zufolge handelt es sich unter anderem um die Übertragung des Techem-Hallenfußball-Cups, für die Mohren alleine 100.000 Euro von Techem kassiert haben soll. Schleichwerbung gibt es natürlich überall, auch bei den Privaten und im Ausland. So wird in den USA seit Jahren ein Riesenumsatz mit „Product Placement“ gemacht. Beim bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelten jedoch andere Wertmaßstäbe: Schließlich kassieren die Sender zwangsweise von den Zuschauern, ob die das Programm nun mögen oder nicht. Sie tun dabei so, als spielten kommerzielle Aspekte keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Die Sender müssen sich keine Gedanken über die Quote machen, können also nach Belieben auch Sportereignisse übertragen, nach denen gar keine Nachfrage besteht. Leidtragende sind die Zahler von Rundfunkgebühren Auch das „schwarze Schaf“, um das sich alles dreht, nämlich „Marienhof“, wird aus den Mitteln der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) bezahlt. Die Produzenten wissen das und revanchieren sich: So beteiligten sich „Marienhof“-Stars im Frühjahr an einer Veranstaltung namens „Marienhof-GEZ-Clubbing“. Die Schauspieler warben unter Disko-Besuchern für die Zahlung der GEZ-Gebühr. Im Internet läuft dazu noch immer ein Gewinnspiel (www.marienhofgezclubbing.de). Bis Ende der Woche kann dort eines von zehn T-Shirts gewonnen werden. Für Herbst sind weitere Veranstaltungen dieser Art geplant. Kritiker werfen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor, er breite sich wie eine Krake immer weiter aus. Immer wieder bemängeln Rechnungshöfe, daß neben dem Programmauftrag auch andere Geschäfte getätigt werden: So wird beispielsweise auch mit Hotels, Tankstellen und Restaurants Geld verdient. Auch wegen der Beträge, die dabei fließen, werden delikate Geschäftsbereiche neuerdings gerne ausgelagert: So besitzen die ARD-Stars Sabine Christiansen und Harald Schmidt ihre eigenen Produktionsfirmen, die wiederum mit Tochterfirmen der Sendeanstalten Verträge abschließen. Wieviel die Talkshowmoderatorin Christiansen genau bekommt, ist nicht mehr nachvollziehbar, die Aufsichtsgremien sind ausgehebelt. Außerdem ist der Sumpf von Unternehmensbeteiligungen so schwer zu überschauen, daß fast vergessen wird, wem Bavaria eigentlich gehört: Die Firma ist mitnichten ein privater Betrieb, der mit der ARD nichts zu tun hat. Bavaria ist eine Tochterfirma von WDR, SWR, BR und MDR. Leidtragende im Falle von Vertragsstrafen sind also vor allem die GEZ-Zahler.