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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Das Erbe der DDR annehmen

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Das erste freistehende Opernhaus Deutschlands droht im Berliner Sumpf zu versinken. Nachdem in den neunziger Jahren im Poker um die Übernahme der Staatsoper Unter den Linden durch den Bund notwendige Arbeiten aufgeschoben wurden, soll ab 2010 das marode Haus endlich generalsaniert, das Schillertheater – in unmittelbarer Nähe zur Deutschen Oper – zur Interimsspielstätte hergerichtet werden. Der Bund steuert aus dem Etat des Staatsministers für Kultur einen Sonderzuschuß von 200 Millionen Euro bei. Das Land Berlin lobte einen beschränkten Wettbewerb aus, für den acht Teilnehmer ausgewählt wurden. „Ziel des Verfahrens“, so heißt es in der Ausschreibung, „ist ein Entwurf, der sowohl die Ansprüche des Nutzers nach einer optimalen Akustik und besseren Sichtverhältnissen wie auch das Erhaltungsinteresse der Denkmalpflege für den außergewöhnlichen Zuschauerraum ernst nimmt und in seinem Entwurf berücksichtigt.“ Das Gebäude und der Saal stehen seit 1979 unter Denkmalschutz – zu Recht. Der Architekt Richard Paulick, der bei Hans Poelzig in Berlin studierte und bei Walter Gropius in Dessau assistierte, hat zwischen 1951 und 1955 die kriegszerstörte Lindenoper aus dem Geiste Knobelsdorffs und Langhans d. J. neu erschaffen. Die Leistung des Architekten ermißt sich allein schon daran, daß vielen Besuchern gar nicht bewußt wird, daß das Haus kein Werk friderizianischer Architektur ist, sondern das einer meisterhaften Anverwandlung ihrer Formen und Formelemente aus den fünfziger Jahren. Von allen eingereichten Entwürfen kommt nur einer dem Ziel der Auslobung nahe, nämlich der des Architekturbüros HPP Hentrich-Petschnigg & Partner, in Zusammenarbeit mit der Architektin Angelika Wandelt erarbeitet. Er schlägt unter anderem vor, die Proszeniumslogen zur Sichtverbesserung um einen Meter nach außen zu verschwenken und die Saaldecke zur Verlängerung des Nachhalls schalltransparent auszuführen. Doch nicht diesen Entwurf empfahl die Mehrheit des Preisgerichts zu weiterer Ausarbeitung und Realisierung, sondern jenen des Architekten Klaus Roth, der einen vollständigen Abriß und Neubau des Zuschauerhauses vorsieht und von dem heutigen Bau lediglich Apollosaal und obere Wandelgänge als historische Zitate übrig ließe. Roths Entwurf, oder das, was der Öffentlichkeit davon zugänglich gemacht wurde, könnte die Sichtprobleme wohl, die akustischen vielleicht lösen, nicht aber ein Grundproblem fast aller in der Nachkriegszeit gebauten Zuschauerräume: er führt die Zuschauer nicht zusammen, sondern vereinzelt sie. Er ist ein demokratischer Raum, der Warensubjekten ungestörten Kulturkonsum ermöglicht, ein Raum, wie ihn Berlin in der Deutschen Oper bereits hat. „Das machen wir!“ soll Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor des Hauses, ausgerufen haben. So kolportiert es Stefan Rosinski, kommissarischer Generaldirektor der Opernstiftung, der den Paulick-Saal vor dem Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses als „totalitären Raum“ schmäht und dem Architekten nachwirft, daß seine Saalkonzeption den „Zivilisationsbruch, den die Vernichtung des Judentums bedeutete“, nicht zum Ausdruck gebracht habe. Das machen wir, sagt Senatsbaudirektorin Regula Löscher, der es um die Entsorgung des „Arbeiterklassizismus“, wie sie sich auszudrücken beliebt, geht. Das sollten wir nicht machen, sagt Berlins Kulturstaatssekretär und Jurymitglied André Schmitz zur Ausstellungseröffnung der Entwürfe in der Bauakademie, weil der Siegerentwurf der Intention des Wettbewerbs widerspricht, weil der historische Saal mit Musiktheatergeschichte aufgeladen ist und weil er sich, so wie er ist, in die Berliner Opernlandschaft sinnvoll einordnet. Das machen wir nicht mit, sagt der Unternehmer Peter Dussmann namens des Freundeskreises der Staatsoper und sagen die honorigen Unterzeichner des Aufrufs „Die Berliner Staatsoper soll saniert, nicht zerstört werden!“ Das darf nicht gemacht werden, sagte auch der Schriftsteller und Publizist Friedrich Dieckmann bereits im Februar 2007, als er vor Abriß- und Neubauplänen des damaligen Intendanten Peter Mussbach warnte, die nun Wirklichkeit werden sollen. Und sagt es heute wieder. Dieckmann hat die „mit Fleiß irregeleitete Angelegenheit“ öffentlich gemacht und fleißig gegengehalten, hat Argumente geprüft und Scheinargumente verworfen, hat widerstreitende Interessen offengelegt und geschichtspolitisch verortet. Die Lindenoper und ihr Kernstück, der Paulick-Saal, sind integraler Bestandteil des Forum Fridericianum, das programmatische Gegenstück zur Stalinallee. Beide Projekte standen unter Gesamtleitung Paulicks, der den Wiederaufbau des Stadtschlosses nicht hatte durchsetzen können. Als in Berlin um den Abriß des Palasts der Republik und den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gestritten wurde, da ging der Streit um zwei leere architektonische Hüllen, deren einer kein Inhalt mehr, deren anderer noch kein Inhalt gegeben werden konnte. Der Streit wurde machtpolitisch entschieden. Nun könnte die Architekturdebatte um die Berliner Lindenoper nachholen, was in der um Palast und Schloß versäumt wurde. Das Kulturerbe der DDR darf nicht länger aus dem Geiste der alten Bundesrepublik negiert werden, sondern muß als gesamtdeutsches Kulturerbe erkannt werden, das wir aktueller Interessen wegen zu verschleudern nicht das Recht haben. „Die Staatsoper Berlin in der Gestalt von Richard Paulick ist Teil unserer gemeinsamen Identität geworden. Wir sollten sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen“, appelliert ein jeglicher Ostalgie unverdächtiger André Schmitz. In nur 18 Tagen hat die Redaktion von Theater der Zeit, die traditionsreiche Zeitschrift für Politik und Theater aus der Hauptstadt, ein hundertseitiges Sonderheft aus dem Boden gestampft, das Ausschreibung, Wettbewerbsentwürfe und Juryvoten dokumentiert und sie grundlegender Kritik unterzieht. Es würdigt eingehend die Baugeschichte des Hauses, insbesondere die nach 1945, und das Werk des Architekten Richard Paulick, des „roten Schlüter“, diskutiert die akustischen und Sichtprobleme des Hauses vor dem Hintergrund veränderlicher Gewohnheiten und Erwartungen seiner Besucher, ordnet den Streit um den Paulick-Saal in die Berliner Operndebatte ein und hebt diese in den Diskurs über die kulturelle Identität der Stadt Berlin und der Berliner Republik auf. Dieser Diskurs mag Kommunalpolitiker überfordern, einen Weltmusiker wird er das nicht. Daniel Barenboim hat in Berlin Wurzeln geschlagen. Er sollte sich den guten Gründen der Befürworter des zweitplazierten Entwurfs nicht verschließen. Von seiner Einsicht hängt vieles ab, die Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin sowieso. Dieser Tage soll sie fallen. Friedrich Dieckmann, Thomas Flierl, Harald Müller (Hrsg.): Sanieren oder demolieren? Berlins Opernalternative, Theater der Zeit, Berlin, Sonderausgabe Juli 2008, 6 Euro Foto: Blick in den von Richard Paulick entworfenen Zuschauersaal der Oper Unter den Linden: Anverwandlung friderizianischer Formen

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