An der Berliner Polizeischule kam es nach einem Bericht der Berliner Zeitung vom Dienstag dieser Woche zu einem als antisemitisch bezeichneten Zwischenfall. Am Tag zuvor hatte Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch erklärt, nach seinen bisherigen Ermittlungen seien in einer Diskussion über Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus „Äußerungen einzelner Auszubildender gefallen, die auf nicht tolerierbare Fehleinstellungen schließen lassen“. Die Berliner Zeitung berichtete, daß Polizeischüler am 27. Februar im Unterricht über die Zeit des Nationalsozialismus erklärt haben, sie wollten „nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden“. Außerdem sollen Äußerungen gefallen sein, „daß Juden reiche Leute“ seien. Die Bemerkungen sollen während einer Unterrichtsstunde in Gegenwart des Holocaust-Überlebenden Isaak Behar gemacht worden sein, der vor der Klasse einen Vortrag gehalten hatte. Der 83jährige wird seit vielen Jahren als Zeitzeuge von Schulen, Bundeswehr und der Berliner Polizeischule als Referent geladen. Seine Eltern und zwei Schwestern wurden im Konzentrationslager Auschwitz getötet. Nun herrscht helle Aufregung in den Hauptstadtmedien. Der Polizeipräsident ordnet eine „umfassende Aufklärung des Vorfalls“ an. Es seien „sowohl dienstrechtliche Konsequenzen zu prüfen als auch eine pädagogische Reaktion der Landespolizeischule“ vorzubereiten. Die Grüne Claudia Roth erklärte: „Wenn eine ganze Klasse von Polizeischülern in Berlin den Holocaust verdrängen will … dann sind das keine Kavaliersdelikte.“ Die ganze Klasse? Den Holocaust verdrängen? Und sie überschlägt sich: „Antisemitismus und andere menschenfeindliche Haltungen sind längst in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ angekommen.“ Martin Walser hatte in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche erklärt: „Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird. (…) Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt.“ Dies sagt ein großer deutscher Schriftsteller. Wie soll sich ein einfacher Polizeischüler verhalten? Walsers Rede löste bekanntlich eine der schärfsten Debatten um Vergangenheitsbewältigung und Geschichtspolitik in Deutschland aus. Wie über die Polizeischüler jetzt fielen die Medien einst über den Schriftsteller her. Man kann den Eindruck haben, daß wir seit 1998 nicht viel vorangekommen sind. Der Publizist Andreas Krause Landt kritisierte jüngst im Merkur zu Recht die spezifisch „deutsche Mischung aus Anmaßung und Zerknirschung“, einen Schuldkult, der in einen „Schuldstolz“ umkippt. Statt die Polizeischüler wegen ihrer Diskussionsbeiträge zu kriminalisieren und eine hysterische Debatte über mangelhafte Vergangenheitsbewältigung anzustoßen, sollte die Kritik am Übermaß ernsthaft bedacht werden.
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