Seit mehr als fünfzig Jahren greift Robert Spaemann, der im Mai seinen 80. Geburtstag gefeiert hat (JF 21/07), in die öffentliche Wertedebatte ein und meldet sich zu Wort, wann immer es um Abtreibungs- und Euthanasiegesetzgebung, Embryonenforschung, Evolutionismus oder auch um die geistige Situation der christlichen Kirchen geht. Jetzt hat der Verlag Klett-Cotta zehn Aufsätze Spaemanns, die zwischen 1985 und 2006 erstmals veröffentlicht wurden, und ein Interview mit ihm zusammengefaßt in einem Buch mit dem Titel „Das unsterbliche Gerücht“. In Auseinandersetzung mit Philosophen wie Friedrich Nietzsche, Niklas Luhmann oder auch Ludwig Wittgenstein thematisiert Spaemann die Frage nach Gott und die Frage nach der Wahrheit. Dabei wird der bekennende Katholik Robert Spaemann nicht müde, zu betonen, daß das Christentum mehr ist als ein Mythos oder eine Weltanschauung, da der christliche Glaube in einem Faktum gründet und damit Wahrheitsanspruch erhebt. Die Philosophie kann sehr wohl den Weg bereiten, doch die verbindliche Antwort auf die Frage nach Gott gibt das Leben Jesu Christi, sein Tod und seine Auferstehung. Spaemann widerspricht Wittgenstein, der gesagt hat: „Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie darüber falsch.“ Die Metaphysik ist als Interpretationsinstrumentarium des christlichen Wahrheitsanspruchs unabdingbar. Ein rein funktionales Denken ist unzureichend; es bedarf hier ebenso einer ontologischen Kategorie. Robert Spaemann unterscheidet zwischen Außen- und Innenperspektive menschlicher Wahrnehmung. Wer Menschen tanzen sieht, aber die Musik nicht hört, kann den Sinn ihrer Bewegungen nicht verstehen. So kann auch der christliche Glaube von außen nicht verstanden werden. Ferner führt Spaemann das Beispiel eines jungen Paares an, das eine Lebensversicherung abschließt. Ein solcher Vertragsabschluß kann in soziologischer, psychologischer oder auch statistischer Hinsicht untersucht werden. Entscheidend ist aber die Innenperspektive: Nur weil das Paar auf die Bonität der Versicherungsgesellschaft vertraut, entscheidet es sich, den Vertrag abzuschließen. Entscheidend ist, daß der Mensch beide Perspektiven einnehmen kann. Ein Defizit liegt nicht nur vor beim Fanatiker, der zur Objektivierung unfähig ist und daher keine Außenperspektive wahrnehmen kann, sondern auch bei jenen Menschen, welche „religiös unmusikalisch“ und daher unfähig zu einer Innenperspektive sind. Ausführlich behandelt Spaemann auch den Begriff der Identität. Ebenso wie der Nation kommt auch der Religion identitätsstiftende Bedeutung zu. Allerdings darf diese Identität nie so eng gedacht werden, daß der Mensch als individuelle Persönlichkeit dabei verloren geht. Die katholische Kirche bietet gerade auch durch ihre Vielfalt an Orden ein breites Spektrum an konkreter Entfaltung, wobei der definierte Glaube und die liturgischen Riten die religiöse Identität zum Ausdruck bringen. In diesem Zusammenhang kritisiert Spaemann auch die Liturgiereform von 1968, die einen über viele Jahrhunderte gewachsenen Ritus über Nacht eliminiert hat und dazu führte, daß sich viele in dieser Kirche nicht mehr zu Hause fühlten. Grundsätzlich sieht Spaemann die Kirche stets in Spannung zur Welt und argumentiert dabei ganz biblisch. Für ihn ist es ein großer Fehler, daß selbst von seiten kirchlicher Vertreter versucht wird, Kirche und Welt zu harmonisieren. Auch er fordert, daß die Kirche zeitgenössisch wird, aber: „Zeitgenössischwerden der Kirche kann nur heißen: auf eine spezifisch zeitgenössische Weise den notwendigen Widerspruch darstellen, den die Kirche und der Glaube der Kirche in der Welt immer bedeutet.“ In den vorliegenden Aufsätzen hat Robert Spaemann nicht nur grundsätzliche philosophische Gedankengänge vorgelegt, sondern auch eine Kritik an der modernen Gesellschaft. Er wünscht sich, daß dort der christliche Glaube „zur Zuflucht der Menschlichkeit des Menschen werden“ könne. Robert Spaemann: Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2007, gebunden, 264 Seiten, 17 Euro Foto: Robert Spaemann: „Den notwendigen Widerspruch darstellen, den die Kirche und der Glaube der Kirche in der Welt immer bedeutet“