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Von Dämonen zu Göttern

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Die achtziger Jahre markieren eine wichtige Zäsur in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands. Das gilt zumindest für die Geschichte der Mentalitäten, jener Denk- und Empfindungsinhalte, die uns selbstverständlich erscheinen und unser Verhalten prägen, obwohl sie unbewußt wirksam sind. In den achtziger Jahren wurde erkennbar, daß sich ein Wandel von politischen Grundeinstellungen vollzog, die bis dahin als konsensfähig gegolten hatten. Erstens: Deutschland muß wieder aufgebaut werden; zweitens: Um das zu erreichen, sind jene Tugenden nötig, die auch in der Vergangenheit halfen, den Bestand der Nation zu sichern; drittens: Der Kommunismus ist der Hauptfeind. Aspekte politischer Mentalität waren das deshalb, weil sie bis dahin von einer Mehrheit akzeptiert waren und von Parteien oder großen Organisationen, Kirchen, Presse, Rundfunk und Fernsehen mitgetragen wurden. Allerdings hatten sich schon lange, seit der Zeit des Mauerbaus, Risse abgezeichnet, und in den sechziger Jahren setzte eine junge, die „verwöhnte Generation“ gegen den alten Konsens einen neuen. Erstens: Besser, wenn Deutschland 1945 untergegangen wäre; zweitens: Den Wiederaufbau haben andere erledigt, jetzt wollen wir genießen; drittens: Der Kommunismus ist an sich eine prächtige Idee. Unter anderen Bedingungen wären derartige Vorstellungen kaum durchsetzbar gewesen, aber die Angreifer hatten Elan, die Verteidiger blieben zaghaft und so siegten die Angreifer. Solcher Sieg in Generationenkämpfen hat etwas Naturnotwendiges, ebenso wie das Abschleifen des Radikalismus und die Resignation der Geschlagenen, die wissen, daß ihre Stunde vorbei ist. Manche in deren Reihen möchten aber den Rest ihres Lebens auf der Seite der Sieger genießen, und die Rede Richard von Weizsäckers zum 8. Mai 1985 – aus Anlaß des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation – signalisierte so einen Akt des Seitenwechsels. Umgekehrt war die Heftigkeit der Reaktion in Teilen des bürgerlichen Lagers darauf zurückzuführen, daß man in Weizsäckers Umdeutung der Niederlage zur „Befreiung“ Desertion sah. Einer aus der Erlebnisgeneration hatte die Floskel der Achtundsechziger übernommen und sich denen angedient, die entschlossen waren, die Katastrophe als Erfolg zu verstehen, als Vorwegnahme ihres eigenen Erfolgs. Die heftigen Proteste von 1985 konnte nie darüber hinwegtäuschen, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse schon verschoben hatten. Dieser Sachverhalt wurde in den Folgejahren, im Verlauf des „Historikerstreits“, unübersehbar. Anlaß auch dieses Konfliktes war eine Rede, genauer gesagt: der Text einer ungehaltenen Rede, die der Berliner Geschichtsprofessor Ernst Nolte zum Thema „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ im Rahmen der Frankfurter Römerberggespräche vortragen wollte, aber nicht vortragen durfte, und die er deshalb der FAZ zum Abdruck zur Verfügung stellte. Dabei zeigte sich rasch, daß es weniger um das „faktische Prius“ kommunistischer gegenüber nationalsozialistischen Massenverbrechen oder um deren „Vergleichbarkeit“ ging, sondern um geschichtspolitische Deutungshoheit. Das hatte Nolte nicht beabsichtigt, aber sehr wohl sein Hauptgegner, der Sozialphilosoph Jürgen Habermas. Dessen Ziel war es, den Konflikt zu nutzen, um die kulturelle Hegemonie der Linken endgültig durchzusetzen. Der „Historikerstreit“ gewann dadurch eine Qualität, die auch erklärt, warum die Erwartung des Bremer Historikers Imanuel Geiss, der früh eine kluge Analyse des Konflikts veröffentlichte, naiv war, man könne die Debatte zu einem „konstruktiven Ausgang“ führen, sobald „die Habermas-Seite (…) den ehrabschneidenden und unbewiesenen, auf manipulierten Zitaten beruhenden Vorwurf der (…) NS-Apologie zurückzunehmen“ bereit sei. Selbstverständlich war sie dazu nicht bereit, und es hat der Durchsetzung ihrer Positionen in keiner Weise geschadet, daß ihre zentralen Argumente genau das waren, was Geiss festgestellt hatte: ehrabschneidend, unbewiesen, auf manipulierten Zitaten beruhend. Habermas verfolgte von Anfang an die Absicht, durch Ausschaltung seiner Kontrahenten eine vollständige Umdeutung deutscher Identität zu erreichen: „Eine in Überzeugungen verankerte Bindung an universalistische Verfassungsprinzipien hat sich leider in der Kulturnation der Deutschen erst nach – und durch – Auschwitz bilden können. Wer uns (…) die Schamröte über dieses Faktum austreiben will, wer die Deutschen zu einer konventionellen Form ihrer nationalen Identität zurückrufen will, zerstört die einzig verläßliche Basis unserer Bindung an den Westen.“ Die Kombination von Westbindung und Sonderwegtabu auf der einen, Kollektivscham und dauernder Vergangenheitsbewältigung auf der anderen Seite bildet seit den achtziger Jahren die Grundlage des deutschen Selbstverständnisses, weniger im Sinn einer Doktrin oder eines ausformulierten Programms, sondern als Grundlage politischer Mentalität. Die wurde so rasch und so nachhaltig geprägt, daß die amtierende bürgerliche Regierung nach kurzem Zögern einschwenkte, daß weder der Zusammenbruch des Kommunismus noch die Wiedervereinigung etwas daran ändern konnten und die folgende rot-grüne Koalition die Basis einer neuen Zivilreligion gewann, zu deren Ketzer niemand werden wollte. Erst jetzt wird der seit Mitte der achtziger Jahre entstandene Konsens wirksam in Frage gestellt, aber nicht von einer zu Einfluß gekommenen Gegenelite, auch nicht von einer jungen Generation, die schon aus Prinzip verwirft, was die Vorgänger dachten und taten. Die Infragestellung geht von der Veränderung der Lage aus. Die moralische Diskreditierung des Vorbilds USA und der Kampf der Kulturen, die Unmöglichkeit, eine nationale Identität aus dem Geist permanenter Bußbereitschaft erwachsen zu lassen, und die faktische zeitliche Entfernung zu geschichtlichen Ereignissen, von denen trotz ununterbrochener Belehrung kaum noch etwas gewußt wird, das alles sind Faktoren, die zur Zersetzung des Selbstverständlichen führen. Panajotis Kondylis, der viel von dem abgesehen hat, was wir an großen Veränderungen erleben, äußerte einmal den Satz: „Die Dämonen von gestern sind die Götter von morgen.“ Das heißt auch, daß diejenigen, die in den intellektuellen Kämpfen eben unterlegen waren, in Zukunft triumphieren könnten. Nicht, weil ihre Gegner sich eines Besseren besonnen haben, nicht, weil irdische oder überirdische Gerechtigkeit wirksam wurden, sondern weil die Lage eine andere ist.

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