Die Motivation, immer wieder Bücher über die Weiße Rose zu veröffentlichen, scheint noch nicht erschöpft zu sein. Dabei steht das Aufsehenerregende dieser Schriften durch vermeintlich neu entdeckte Fakten nicht immer im Verhältnis zum wirklichen Erkenntnisgewinn. Das gilt für Detlef Balds 2003 erschienenes Werk „Die Weiße Rose – Von der Front in den Widerstand“, das sich eher als x-te Auseinandersetzung mit dem „Vernichtungskrieg“ der Wehrmacht las, wie für die bei Spiegel Online (14. September) jüngst wiedergegebene Untersuchung des Kieler Doktoranden Sönke Zankel, der uns Hans Scholl als opiatabhängigen Antisemiten vorstellen möchte. Bei fast allen diesen aktuelleren Veröffentlichungen drängt sich der ihren Autoren innewohnende Wunsch in den Vordergrund, partout einen „Mythos“ zu zerstören. Dies aber gehört wohl zu den Dingen, die die Geschwister Scholl post mortem über sich ergehen lassen müssen, genauso wie die republikweit nach ihnen benannten Gesamtschulen, in deren Waschbeton-Tristesse „die Sophie“ für allerlei wohlfeile – da mittlerweile vollkommen risikolose – Appelle an die „Zivilcourage“ und das ritualisierte „Wehret den Anfängen“-Geplapper herhalten muß. Nun ist im Rowohlt-Verlag ein Buch der Journalistin Sibylle Bassler erschienen, das auf Gesprächen mit noch lebenden Zeitzeugen aus dem Umfeld der Weißen Rose beruht. Die Herausgeberin, im ZDF als Redakteurin für die Frauensendung „Mona Lisa“ tätig, besuchte über mehrere Jahre hinweg verschiedene Beteiligte, die in den wiedergegebenen Interviews ausführlich zu Wort kommen. Dazu gehören unter anderem Elisabeth Hartnagel, die jüngere Schwester von Hans und Sophie Scholl, Traute Lafrenz, die Flugblätter der Weißen Rose von München nach Hamburg brachte, Anneliese Knoop-Graf, Schwester des ebenfalls hingerichteten Willi Graf, der ehemalige Kamerad Jürgen Wittenstein, der zur Studentenkompanie gehörte, Franz Müller, ein Freund und Mitstreiter des kürzlich verstorbenen Hans Hirzel, sowie dessen Schwester Susanne Zeller-Hirzel, die noch aus „Jungmädel“-Tagen eine Freundschaft zu Sophie Scholl verband. Die Interviews folgen alle im wesentlichen dem gleichen Schema: Es wird die Beziehung der Befragten zur Weißen Rose und ihren prominenteren Mitgliedern erörtert, das familiäre und schulische Umfeld geschildert sowie auf die Frage eingegangen, wann und wodurch es zum Bruch mit dem Nationalsozialismus kam. Die Behauptung des Verlags, das Buch leiste einen Beitrag zur Ergänzung und Korrektur des bisherigen Bilds der Weißen Rose, bei dem die Geschwister Scholl zu einseitig im Mittelpunkt des Interesses gestanden haben, erscheint etwas vermessen. Tatsächlich wird für Kenner der Widerstandsgeschichte kaum Neues zutage gefördert, was aber durchaus kein Nachteil sein muß. Die gut lesbaren Gespräche mit durchaus berichtenswerten Details sind mit kurzen einleitenden Texten versehen. In ihnen verschweigt Bassler auch nicht Unterschiede oder Widersprüche in den Darstellungen ihrer Gesprächspartner oder gar Animositäten zwischen ihnen. Leider merkt man jedoch in den Einleitungen, daß die Autorin keine Historikerin ist, manche Formulierung – wie zum Beispiel die vom „sogenannten Frankreichfeldzug“ – klingt bemüht politisch korrekt. Die Aufnahme des Gesprächs mit Hildegard Hamm-Brücher in diese Zusammenstellung erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn man den im Untertitel verwendeten Begriff „Zeitzeugen“ weit auslegt. Denn der Kontakt der späteren FDP-Politikerin zur Weißen Rose während ihrer Münchner Studentenzeit beschränkte sich in erster Linie darauf, daß sie unter ihren Kommilitonen Bekannte hatte, die wiederum in Kontakt zu Hans Scholl und seinen Mitstreitern standen. Daß Hamm-Brüchers „Widerstand“ darin bestand, ein Flugblatt der Weißen Rose zu lesen und anschließend in der Toilette wegzuspülen, mag man der alten Dame nicht verübeln, das Eingeständnis, damals „so feige“ gewesen zu sein, ehrt sie zweifellos. Doch die Formulierung, sie sei „die einzige aus dem engeren oder weiteren Kreis der Weißen Rose, die in die Politik gegangen ist“, erstaunt vor diesem Hintergrund sehr. Dazu paßt, was Sophie Scholls Schwester Elisabeth Hartnagel zum Abschluß des ersten Interviews feststellt: „Es gibt immer mehr Legenden, und es tauchen zunehmend Leute auf, die behaupten, sie hätten mitgemacht, sie wären auch Teil der Widerstandsbewegung gewesen. Dabei weiß ich, daß es einfach nicht stimmt.“ Sibylle Bassler: Die Weiße Rose. Zeitzeugen erinnern sich. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006, gebunden, 256 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro