Nach der chaotischen und von persönlichen Anfeindungen geprägten Parlamentswahl, die das Mitte-Links-Bündnis Unione unter dem Spitzenkandidaten Romano Prodi mit einer hauchdünnen Mehrheit von knapp 25.000 Stimmen gewann, hatten die Italiener auf einen ruhigen Neuanfang gehofft. Doch der bisherige Ministerpräsident Silvio Berlusconi weigerte sich bis letzten Dienstag, seine Niederlage anzuerkennen, und reichte erst dann seinen Rücktritt ein. Bei der Wahl der jeweiligen neuen Präsidenten in den beiden Parlamentskammern zeigte sich, wie schwach Prodis Rückhalt ist. Nur knapp konnte der designierte italienische Ministerpräsident einer Schlappe entgehen. „Man rauft sich um wichtige Posten“ So setzte sich in der Abgeordnetenkammer der Parteichef der Altkommunisten (PRC), Fausto Bertinotti, gegen Massimo D’Alema, den Präsidenten der stimmenstärksten Partei (DS) in Prodis Ulivo-Bündnis, durch. Der Ex-Premier und Postkommunist D’Alema hatte mit Rücksicht auf die Einheit des Mitte-Links-Bündnisses seinen Verzicht erklärt, nachdem Bertinotti ultimativ auf den Kammervorsitz – das dritthöchste Staatsamt – beharrt hatte. Andernfalls, so hatte der Chef der Rifondazione Comunista warnend angedeutet, würde er aus dem Regierungsbündnis ausscheiden. Bertinotti nutzte den Umstand aus, daß seine PRC bei den Parlamentswahlen drittstärkste Kraft im Union-Bündnis wurde und Prodi ohne die Altkommunisten auch im Hinblick auf die hauchdünne Sitzmehrheit im Senat völlig regierungsunfähig wäre. Zudem erinnert sich Prodi noch zu gut, daß es 1998 ebenfalls Bertinotti war, der bei einer Vertrauensabstimmung seine erste Regierung zu Fall brachte. Nach drei vergeblichen Abstimmungen im Parlament konnte Bertinotti dennoch erst beim vierten Wahlgang, wo die einfache Mehrheit genügt, für das Amt bestätigt werden. Auch im Senat kam es zu heftigen Auseinandersetzungen und mehreren Wahlgängen, bis sich der Vertreter der Mitte-Links-Koalition, der frühere Gewerkschaftler Franco Marini, gegen den vom Berlusconi-Lager vorgeschlagenen 87jährigen früheren christdemokratischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti durchsetzen konnte. Das zweitägige öffentliche Gerangel um die höchsten Posten im Parlament hinterließ einen höchst zwiespältigen Eindruck bei den Bürgern und zeigte alles andere als die von Prodi immer wieder beschworene Eintracht im linken Lager. Der vor den Wahlen Berlusconi-kritische Corriere della Sera ging mit dem Linksbündnis hart ins Gericht. „Statt uns mitzuteilen, welche wichtigen Reformen die Regierung im ersten Halbjahr durchführen will, rauft man sich um wichtige Posten. Das mag Parteien und ihre Funktionäre interessieren, aber nicht das Volk. Es war die denkbar schlechteste Vorstellung, die eine mit so knapper Mehrheit gewählte Koalition geben konnte“, schrieb die liberalkonservative Mailänder Zeitung. „Statt eines hoffnungsvollen Neubeginns riskierte Prodi den Untergang“, kritisierte die linksliberale La Repubblica. La Stampa spottete: „Land der alten Patriarchen – ist das Italiens Zukunft?“ und bildete darunter die Fotos von Andreotti (87) und Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi (86) ab. Im übrigen könnte man glauben, eine Zeitmaschine sei im Gange, und die Erste Republik – wo die einst allmächtigen Christdemokraten (DC) regierten – sei wieder auferstanden: Giulio Andreotti, Senator auf Lebenszeit und siebenfacher DC-Ministerpräsident trat gegen Franco Marini (73) an, einst Parteichef der Partito Popolare (ein Linksableger der DC) und katholischer Gewerkschaftsführer der CISL. Marini war allerdings einst Arbeitsminister unter Andreotti, ebenso wie der nun 65jährige Prodi in Andreottis Kabinett das Amt des Industrieministers bekleidete. Der heutige Altkommunist Bertinotti schwang bereits in der Ersten Republik die Fahne mit Hammer und Sichel, damals allerdings auf der Oppositionsbank – zusammen mit dem heutigen Linksdemokraten D’Alema, als hohe Funktionäre der damaligen Kommunistischen Partei (PCI). Und das Feilschen um Posten ist längst nicht zu Ende. Nicht nur die Ministerliste, an der Prodi bastelt, ist schwierig. Die Linken wollen nun eventuell D’Alema als Nachfolger des Mitte Mai scheidenden Staatspräsidenten Ciampi auf dessen Posten hieven. „Wenn das geschieht, werden wir die Straße mobilisieren“, prophezeite Berlusconi. Denn es könne doch nicht angehen, daß die linke Koalition alle Ämter kassiere, nachdem die Hälfte des Landes rechts gewählt hat – und zwar die wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen. Auch die Nachricht vom Attentat gegen den italienischen Konvoi im Irak, bei dem drei italienische Soldaten getötet wurden, läßt selbst an den Särgen der Gefallenen keinen Frieden im Lande aufkommen. Im Gegenteil, die Kommunisten und andere Ultralinke fordern erneut den sofortigen Rückzug der Truppen. Noch beharrt Prodi auf seiner Agenda, die einen Abzug bis Ende des Jahres vorsieht. Doch wie lange noch? Was von dieser Koalition noch zu erwarten ist, zeigen die jüngsten Vorfälle in Mailand. Am offiziellen „Tag der Befreiung“ (25. April) wurde die noch amtierende „rechte“ Bildungsministerin Letizia Moratti und Kandidatin für das Amt des Bürgermeisters von Mailand, die ihren einst ins KZ Dachau deportierten Vater im Rollstuhl bei der Demonstration mitschob, so heftig von Pfiffen und Schmährufen der radikalen Linken verfolgt, daß sie die Kundgebung verlassen mußte. Außerdem wurden erneut israelische Flaggen öffentlich verbrannt – von pro-arabischen kommunistischen Aktivisten. Israels Botschafter in Rom protestierte. Und „Prodi hält die Luft an“, schrieb der Corriere della Sera. Doch ihm sind die Hände links gebunden. Foto: Fausto Bertinotti: Er brachte bereits 1998 Romano Prodi zu Fall