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Pankraz, Siger von Brabant und die Affäre Irving

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Pankraz, Siger von Brabant und die Affäre Irving

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Im Jahre 1271 (oder ’72; die Gelehrten sind sich nicht einig) gab es an der Universität von Paris ein großes concilium, eine Mischung aus Wissenschaftskongreß und Kriminalprozeß, bei dem auch der berühmte Thomas von Aquin anwesend war. Angeklagt war ein Kollege und Mitbruder des Thomas, Siger von Brabant, der seinen Studenten – so die verbreitete Ansicht – schlimme Irrlehren beibrachte und sogar ein höchst anstößiges Buch mit dem Titel De aeternitate mundi (Von der Ewigkeit der Welt) geschrieben hatte. Eine Abrechnung mit ihm schien überfällig. Der Andrang zum Verhandlungssaal war gewaltig.

Siger hatte den arabischen Philosophen und Aristoteles-Übersetzer Averroes, damals absolutes Wissenschaftlervorbild im Abend- wie im Morgenland, völlig falsch, nämlich unchristlich und kirchenwidrig, ausgelegt, hatte u.a. behauptet, es gäbe keine göttliche Schöpfung, die Welt sei unerschaffen und immer schon dagewesen. Die Wellen der Empörung gingen hoch. Schließlich ergriff auch der große Thomas das Wort und wies in machtvoller Rede nach, daß Bruder Siger weder von Averroes noch von Aristoteles einen ordentlichen Begriff habe. Das Auditorium lachte und klatschte beifällig.

Der Mann aus Brabant wurde unter der Macht der öffentlichen Unmutsbekundungen gegen ihn ganz klein, sagte, er habe sich in seinem Buch tatsächlich schwer geirrt, die neueren Forschungen, insbesondere die von Bruder Thomas, hätten ihn inzwischen von seinem Irrtum vollständig überzeugt, es tue ihm leid, er sei beschämt. Daraufhin beruhigten sich Publikum, Kollegen- und Pfaffenschaft. Es wurde beschlossen, das Buch des Siger auf dem Hof der Universität öffentlich zu verbrennen. Dem Buchautor selbst freilich passierte nichts. Er verlor nicht einmal seine Lehrbefugnis.

David Irving, der britische Historiker, hat im Jahr 2006 in Wien bekanntlich weniger Glück gehabt. Er hatte bei einem Vortrag in Österreich vor sechzehn Jahren den Holocaust geleugnet. Jetzt, während einer neuerlichen Österreichreise, wurde er deshalb verhaftet, unter großem Publikumsandrang angeklagt und stante pede zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Es nützte ihm nichts, daß er erklärte, er bereue seine damalige Leugnung inzwischen, habe sich durch neuere Forschungen von seinem Irrtum überzeugen lassen. Die Richter werteten seine Erklärung als ebenso hinterhältiges wie lächerliches Manöver.

In der Historikerzunft, besonders in England, regt sich nun vernehmbare Unruhe. Ist doch durch das Wiener Urteil nicht nur eine bestimmte Meinung, sondern – wohl erstmals in der Weltgeschichte – gleich auch das Recht auf wissenschaftlichen Irrtum kriminalisiert worden. Bisher galt unter Wissenschaftlern, daß der Erkenntnisprozeß im Wesentlichen eine Abfolge von trial and error sei, also von Versuch und Irrtum. Wenn das Irving-Urteil Bestand hat, würde dieses Konzept völlig außer Kraft gesetzt. Die Axt würde dann nicht nur an die Wissenschafsfreiheit gelegt, sondern an die Wissenschaft überhaupt.

Von vergleichbarer Vernichtungswucht ist nur noch jener Paragraph im deutschen Gesetzbuch, wonach nicht nur die Leugnung, sondern auch die "Verharmlosung" des Holocaust strafbar sei. Das Wort verfügt, daß man sich als Wissenschaftler gewissen historischen Tatbeständen nur in einer einzigen, von den Behörden genau festgelegten Form annähern darf. Schon Nuancen von Sprache können Verbrechen sein und einen in den Knast bringen. Schon Sprachvaleurs bei der Formulierung von Forschungsergebnissen können hinter Gitter führen.

Und was das Kurioseste ist: Die Wissenschaft wird preisgegeben nicht etwa, weil sie, wie zur Zeit des Thomas von Aquin und des Siger von Brabant, mit erhabenen Glaubenssätzen ("Gottes Schöpfung") kollidiert, sondern weil sie gegebenenfalls irritierende Lichter auf historische Ereignisse bzw. Tatbestände wirft. So etwas ist weder im Mittelalter noch in der finsteren, von Glaubenskriegen zerfetzten frühen europäischen Neuzeit vorgekommen. Sogar im Jahre 1616 gab man sich – siehe die Affäre Galileo Galilei – mit öffentlichen Irrtumsberichtigungen zufrieden. Das Wiener Urteil von 2006 markiert einen neuartigen Grad von Finsternis.

Extra vermerkt sei, daß es immerhin einen prominenten Historiker gibt, den Deutschen Hans-Ulrich Wehler, der das Urteil ausdrücklich bejubelt und für wegweisend erklärt. David Irving, erklärte Wehler in einem Interview, sei "ein Mann, der fraglos Quellenkenntnisse besitzt und sein Erwachsenenleben mit der deutschen Zeitgeschichte verbracht hat". Aber da das so sei, hätte er auch vor sechzehn Jahren schon wissen müssen, was er sage. Wehler: "Ob Irving nun in Österreich für drei oder für zehn Jahre ins Gefängnis muß, ist mir vollkommen egal."

Der Mann hat offenbar von den Dingen, um die es hier geht, nur begrenzte Ahnung, merkt gar nicht, daß die Grundlagen seines eigenen Faches zur Disposition stehen. Nicht jeder paßt eben in die Schuhe eines Thomas von Aquin. Und außerdem: Drei oder zehn Jahre – einem Historiker dürfte so etwas an sich nicht egal sein, ist doch der penible Umgang mit Zahlen und Zeiträumen das A und O jeder ernst zu nehmenden historischen Forschung. Die Äußerungen von Professor Wehler klingen intensiv nach Verharmlosung.

Was die Sache selbst angeht, so wäre zu konstatieren: Eine Revision der deutschen und österreichischen Anti-Leugnungs- bzw. Anti-Verharmlosungs-Paragraphen ist überfällig, das hat die Causa Irving mit schneidender Deutlichkeit gezeigt. Sie sind diktatorisch und lächerlich und liefern nur, wie sich in Wien an jedem Verhandlungstag zeigte, den islamistischen Feinden der westlichen Demokratien billige Argumente für ihren Kampf gegen die Meinungsfreiheit. Man sollte endlich Schluß machen.

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