Was in Kreuth in diesem Jahr stimmte, war der Schnee. Mannshoch lag die weiße Pracht auf den Dächern des Tagungszentrums der Hanns-Seidel-Stiftung in dem idyllischen Wildbad, wo sich die CSU-Bundestagsabgeordneten wie in jedem Jahr zu ihrer Klausurtagung zusammenfanden. Was nicht paßte: Anders als in früheren Jahren gab es kein Kreuther Signal, nicht einmal ein Poltern. War im Vorjahr noch vom damaligen Landesgruppenchef Michael Glos die „Teamfähigkeit“ der heutigen Kanzlerin Angela Merkel in Frage gestellt worden, so kamen aus Kreuth jetzt nur die Ansagen vom neuen Landesgruppenchef Peter Ramsauer und CSU-Chef Edmund Stoiber, die CSU wolle in der Großen Koalition eine Brücken- und Scharnierfunktion ausüben. Der bayerische Löwe ist sprachlos geworden. Das hat viel mit der CSU selbst, aber auch mit der Koalition zu tun. Stoibers Rückzug aus Berlin hat die Partei in eine schwere Krise gestürzt. Zwar erholte sich die CSU bei Umfragen. Sie wird jetzt auf Landesebene bei 56 Prozent eingestuft. Aber das Mißtrauen gegen den wankelmütigen und zaghaften Vorsitzenden ist geblieben. Daß Stoibers Führungsposition nicht angefochten wird, liegt auch an den mangelnden Alternativen. Als das Rennen um die Nachfolge für das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten noch auf Hochtouren lief, löste keiner der beiden Kandidaten, Innenminister Günther Beckstein und der heutige Wirtschaftsminister Erwin Huber, Begeisterungsstürme aus. Die Landtagsfraktion, das eigentliche Machtzentrum der CSU, zeigte sich gespalten. Für den Parteivorsitz käme als Nachfolger von Stoiber eigentlich nur Landwirtschaftsminister Horst Seehofer in Betracht der aber in Kreuth heftig abstritt, irgendwelche Ambitionen zu haben, und erklärte, die Partei sei „bestens in Schuß“. Das ist sie aber nicht. Die CSU weiß nicht so recht, was sie in der Großen Koalition in Berlin soll. Eine Ursache für die hohen Stimmenverluste war, daß sie sich zu stark an marktliberale Positionen der CDU angehängt hatte, wie sie bei der Kopfpauschale im Gesundheitswesen zum Ausdruck kommen. Damit verlor man einen Teil sozial orientierter CSU-Wähler. Diesen Fehler versuchte Stoiber zu korrigieren, indem er Seehofer, einen ausgewiesenen Vertreter des sozialen Parteiflügels, ins Bundeskabinett drückte. Für die CSU-Programmatik heißt das: keine Kopfpauschale mehr und keine Bierdeckel-Steuerreformen. Damit müßten die Bayern in der Koalition der SPD näher stehen als der Schwesterpartei CDU. Das geht aber wiederum wegen der Einheit der Union nicht. Der Zickzack-Kurs, den die CSU zur Zeit fährt, wurde in Kreuth an einem kleinen sachpolitischen Punkt deutlich. Stoiber hatte zunächst die Einführung von Kombilöhnen begrüßt, die von der CDU vorgeschlagen worden waren. Die Einkommen von Geringverdienern sollen nach diesem Modell durch staatliche Zuschüsse aufgestockt werden. „Der Kombilohn hat für mich vor allem auch eine starke soziale Komponente“, freute sich Stoiber. Er mußte aber kurz danach feststellen, daß die Mehrheit seiner Bundestagsabgeordneten gar nichts von dem CDU-Plan hielt, und seine Position korrigieren. Wieder einmal hatte den Parteichef sein Instinkt verlassen. Im Streit um die Zukunft der Kernenergie mußten die CSU-Granden feststellen, daß sie allein auf weiter Flur stehen. Glos und Stoiber ging es darum, die nach dem Atomausstieg vorgesehene Abschaltung von modernen Kraftwerken zu verhindern. Doch Merkel ließ die CSU abblitzen. In Berlin verwies sie auf den Koalitionsvertrag, in dem die Atomfrage zwischen Union und SPD streitig gestellt ist. Kleinlaut begaben sich die Bayern auf den Rückzug. Überhaupt zeigt sich jetzt, daß die CSU der Kanzlerin nicht gewachsen ist. Merkel entpuppt sich als eiskalte Machtpolitikerin. Glos und Seehofer, die Repräsentanten der CSU im Kabinett, suchen immer noch nach ihrer Rolle zwischen Merkel und Bayern. Ramsauer, der neue Landesgruppenchef, ist noch nicht gefestigt genug, um sich mit der Kanzlerin anzulegen. So wandert der bayerische Löwe zahnlos und auf Samtpfoten durch die große Koalition. Das muß nicht so bleiben, aber daß die Schwächephase der CSU kein kurzfristiges Phänomen ist, ist den Parteistrategen klar. Sie haben noch Glück, daß die nächste Landtagswahl erst 2008 ins Haus steht und somit Zeit genug für eine Neuaufstellung ist. Diese soll zunächst programmatisch erfolgen. Die CSU will sich emotionaler und nationaler geben. Auch die soziale Komponente soll wieder stärker herausgestellt werden. Aber wenn die Partei nicht wieder auf die Beine kommt, gilt auch in der Politik, was wir vom Fußball schon lange kennen: Der Trainer wird ausgewechselt werden. Foto: CSU-Chef Stoiber in Wildbad Kreuth: Das Mißtrauen gegen den wankelmütigen Vorsitzenden ist geblieben