Was Alexander Nützenadel in seiner Habilitationsschrift die „Stunde der Ökonomen“ nennt, kann rückblickend nur bedingt als Sternstunde gelten. Der Kölner Historiker schildert das allmähliche Vordringen keynesianischer Theorien in die westdeutsche Wirtschaftswissenschaft. Diese verdrängten die ordoliberale Schule, der Ludwig Erhard nahestand, führten schließlich zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 und zum Versuch einer systematischen staatlichen „Globalsteuerung“ durch SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller. Der Versuch scheiterte, und Schiller erkannte auch bald, daß es ein Irrtum war, immerfort neue Schulden zu machen: Statt Vollbeschäftigung gab es in den siebziger Jahren „Stagflation“, also eine Kombination aus stagnierender Wirtschaft und steigender Inflation. Die lahmende Konjunktur suchte man mit immer neuen, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen zu beleben. Doch die Nachfrageimpulse verpufften und hätten die Inflation noch stärker angeheizt, wäre nicht die Bundesbank auf die Zinsbremse getreten. Damals begann der Weg in den Schuldenstaat; ebenso gab es erstmals eine Sockelarbeitslosigkeit, die seitdem mit jedem konjunkturellen Abschwung höher geworden ist. Wie paßt diese negative ökonomische Entwicklung mit den Versprechen der Wirtschaftswissenschaftler zusammen, mit ihrem immer besseren Expertenwissen für Wachstum und Wohlstand zu sorgen? Nützenadel liefert dazu nur Andeutungen, mit einer Bewertung der teilweise absurd planungseuphorischen Ökonomen hält er sich stark zurück. In seinem knappen Resümee nennt er drei Gründe, weshalb die staatliche Konjunktur- und Wachstumsbeeinflussung so schlechte Ergebnisse brachte: die unzuverlässigen Prognosen, der mangelnde Wille zur „Konzertierten Aktion“ und die schlechte Koordination der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Doch auch in Staaten, die ihre Planung strikter „koordinierten“, folgte die Wirklichkeit nicht der keynesianischen Theorie. Den größten Teil der Studie macht eine ideen- und zeitgeschichtliche Untersuchung aus, die etwa bis 1969 geht. Nützenadel zeichnet nach, wie sich die deutsche nationalökonomische Wissenschaft nur mühsam aus dem Schatten der naiv-empirischen „Historischen Schule“ lösen konnte und dann zu einem konsistenten theoretischen Ansatz fand. Den Ordoliberalismus rechnet Nützenadel noch teilweise zum historischen Lager, weil dieser auch die konkreten rechtlichen und staatlichen Gegebenheiten, die Institutionen, in den Blick nahm. Erst die keynesianisch-neoklassische Synthese habe den Sprung zur „modernen“, weil formalisierten und mathematisierten Wissenschaft geschafft. Daß die makroökonomischen Modelle auf extrem vereinfachten, oft zweifelhaft mechanischen Annahmen beruhten und ihre Prognosen wenig realitätsnah waren, fiel aber schon damals auf. Der Ehrgeiz der Forscher, immer komplexere Modelle zu konstruieren, wurde dadurch nur noch weiter angestachelt. Auf seiten der Politik bestand große Nachfrage nach ökonomischer Expertise. Neue empirisch ausgerichtete Forschungseinrichtungen wie das Münchner Ifo-Institut, das Berliner DIW, das Hamburger HWWA oder das Essener RWI etablierten oder vergrößerten sich in den fünfziger Jahren. Wichtig – und für Planer verführerisch – war die Einführung und Verbesserung einer Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). 1963 wurde der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage gegründet. Das Gremium entwickelte eine sehr starke Stellung und scheute sich nicht, mit Gutachten zum Außenwert der D-Mark und dem Wechselkursregime von Bretton Woods von der Regierung abweichende Positionen zu beziehen. Aufschlußreich ist das Kapitel zu den internationalen, die deutsche Wirtschaftstheorie und -Politik beeinflussenden Faktoren. Hier nimmt Nützenadel die Systemkonkurrenz im Kalten Krieg sowie die Impulse durch die europäische Integration unter die Lupe. In den sechziger Jahren erhielt die „Konvergenztheorie“ mächtig Auftrieb, die eine Angleichung der Systeme von West und Ost vorhersagte – und zugleich indirekt förderte. Der Westen sollte dringend mehr Planung wagen; nur so könne er verhindern, daß der Osten auf- und überhole. Auch über die EWG gab es ständig Ermunterung zu mehr „Planification“, die bei französischen Kommissaren wie Robert Marjolin hoch im Kurs stand. Nur mit Mühe konnte die Bundesregierung dessen Vorstoß zu einer europaweiten dirigistischen Wirtschaftspolitik abwehren. Insgesamt bietet Nützenadels Arbeit eine Fülle an Stoff zur Geschichte der deutschen Nationalökonomie im zweiten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine grundsätzliche Kritik des Kults der Experten, dem in den sechziger Jahren alle Sozialwissenschaften huldigten, wagt er nicht. Die Einsicht, daß eine staatliche Planung von Wirtschaft und Gesellschaft an inhärente Grenzen stößt, muß der Leser selbst entwickeln. Fotos: Alexander Nützenadel: Die Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949-1974. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, gebunden, 427 Seiten, 49,90 Euro, Karl Schiller (2.v.l.) mit „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, Bonn 1967: Der Westen sollte dringend mehr Planung wagen; nur so könne er verhindern, daß der Osten auf- und überhole