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Lieber Hammer als Amboß

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Ein bißchen Schadenfreude darf man sich gönnen wegen der Prügel, die Günter Grass jetzt bezieht. Die Empörung mag selbstgerecht und ahistorisch sein, doch sie gibt dem Großschriftsteller Gelegenheit, von den Früchten zu kosten, für die er die Saat selbst gelegt hat. Sein öffentliches Wirken, „Engagement“ genannt, hat dazu beigetragen, jene Atmosphäre zu schaffen, in der es unmöglich ist, über das, was er in jungen Jahren erlebte, angemessen zu reden. Sollte Grass geglaubt haben, mit seinen moralisierenden, politisierenden, dabei überwiegend infantilen Einsprüchen die Heraufkunft freier, großherziger Menschen zu befördern, muß er sich nun vor den Trümmern seiner Hoffnungen sehen. Denn der kleingeistige, bigotte Mief (den er in seinen Memoiren wieder einmal im Adenauerstaat verortet), er weht ihm aus einer Gegenwart entgegen, die er kraftvoll mitgeprägt hat. Das antifaschistische Milieu zeigt sich enttäuscht, weil es mit dem entzauberten Moralisten Grass, an den es geglaubt – geglaubt! – hat, ein Führerlein verloren hat. Zwischen Werk und Person zu trennen, sollte banal sein Was schreibt er nun in seinem Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ über seine Haltung zur Waffen-SS, in die er 1944, gerade siebzehnjährig, eingezogen wurde? Der Bauernkriegsführer Jörg von Frundsberg, dessen Namen seine Einheit trug, war „jemand, der für Freiheit, Befreiung stand. Auch ging von der Waffen-SS etwas Europäisches aus: in Divisionen zusammengefaßt kämpften freiwillig Franzosen, Wallonen, Flamen und Holländer, viele Norweger, Dänen, sogar neutrale Schweden an der Ostfront in einer Abwehrschlacht, die, so hieß es, das Abendland vor der bolschewistischen Flut retten werde.“ So idealistisch konnte man das damals also sehen, und so ähnlich las man es bereits bei Leon Degrelle, Franz Schönhuber und Wolfgang Venohr. Nun sagt es auch Grass, den selbst die Böswilligsten nicht als unbelehrbaren Nazi-Opa abtun können. Um so größer ist die Verwirrung bei denjenigen, die von sich annehmen möchten, über Kraft und Mut zu verfügen, die ausgereicht hätten, den Zweiten Weltkrieg durch massenhafte Wehrdienstverweigerung zu verhindern. Wegen solcher Passagen, in denen Grass einerseits mit gebotener Distanz, andererseits mit größtmöglicher Authentizität dem Kind, dem Jüngling, dem jungen Mann, die er einst war, nahezukommen versucht, lohnt sich die Lektüre seiner Memoiren und schwindet die Schadenfreude schnell. Das Buch konzentriert sich auf die Kindheit und Jugend in Danzig, greift bis in die fünfziger Jahre und an einigen Stellen bis in die Gegenwart aus. Bringen uns die Erinnerungen die „ganze Wahrheit“? Eine naive Frage, denn die Memoiren eines Schriftstellers sind stets eine Mischung aus Wahrheit und Dichtung. Die Vergangenheit wird poetisiert, indem Wunsch- und spätere Selbstbilder als Realität in sie eingehen und anderes dafür als Nichtgewesenes abgetan wird. Der frühere Konkret-Her-ausgeber Klaus Rainer Röhl, ein Mitschüler Grass‘, erinnert sich, daß der spätere Nobelpreisträger der Anführer einer Clique war, die ihn, Röhl, wie man heute sagt, systematisch „gemobbt“ hatte, und daß Grass das noch nach Jahrzehnten ganz lustig fand. Sogar vom sexuellen Mißbrauch einer Lizeumsschülerin durch den Matzerath-Erfinder ist die Rede. Derlei Konstellationen kennt man aus den „Verwirrungen des Zöglings Törleß“, und es ist keine Überraschung, daß Grass schon damals lieber Hammer als Amboß war. Er ist ein Machtmensch, auch aus diesem Impuls heraus läßt sich zum Teil sein agitatorisches Eiferertum verstehen. Anläßlich der Wellen, die das neue Buch geschlagen hat, wird nun die Frage diskutiert, was von Grass bleiben wird. So heißt es denn, als Dichter bleibe er bestehen, den politisierenden Eiferer dagegen habe längst das Zeitliche gesegnet. Die Trennung zwischen dem literarischen Werk eines Autors einerseits und seiner Person und der politischen Haltung, die sie vertritt, andererseits, ist – zumindest theoretisch – eine Banalität. Doch so einfach liegen die Dinge in den Nachkriegsliteraturen beider deutscher Staaten nicht. Die Aufspaltung ist deshalb so schwer, weil die Schriftsteller ausdrücklich politische und moralische Aussagen, ja Anklagen implizierten. Der korrekte – linke – Standpunkt war häufig wichtiger als die Qualität. Für diese Verwirrung der Maßstäbe wurde der Begriff „Gesinnungsästhetik“ geprägt. Aus literarischer Sicht gibt es daher keinen dümmeren Vorwurf als den, daß Grass nicht beizeiten selber auf der Anklagebank Platz genommen habe, auf die er andere setzte. Diese Unterlassung bedeutet für die besten seiner Werke die Rettung. Die Frage der Gesinnungsästhetik (bzw. des Gesinnungskitsches) war 1990 im Literaturstreit diskutiert worden, ohne daß jemand zu ihrem historischen Kern vordrang. Der Streit hatte sich an den Büchern von Christa Wolf entzündet und war dann auf das Feld der westdeutschen Nachkriegsliteratur gewechselt. Als Höhepunkt hatte Merkur-Herausgeber Karl Heinz Bohrer in seinen „Provinzialismus“-Marginalien den Gesinnungskitsch als ästhetische Mißgeburt fixiert, in der sich grundsätzliche politische, gesellschaftliche, geistige Defizite des wiedervereinigten Deutschland spiegeln. Ursächlich waren für Bohrer der Mangel an Urbanität und ein fehlendes „Organ für Ironie, für Zweideutigkeiten und Ambivalenzen“. Er verwies auf die Angelsachsen als die realen „Herren der Geschichte“, deren überlegene „Handlungsethik“ auf der ästhetischen Ebene mit einer „höheren symbolischen Ordnung“ einhergehe. Literatur richtet nicht, sie erzählt und manifestiert Man konnte das als Aufforderung an die deutschen Schriftsteller lesen, sich endlich von Gutmenschen zu entschlossenen Filialisten der angelsächsischen Kultur weiterzuentwickeln. Das wäre darauf hinausgelaufen, die moralisierende Metasprache in der Literatur durch eine internationale Metasprache zu ersetzen und damit weiterhin über die eigene Seins- und Erfahrungswelt in einem fremden Idiom zu richten. Literatur aber, die mehr ist als ein Gesinnungstraktat, richtet und politisiert nicht, sondern sie erzählt und manifestiert. Es ist bemerkenswert, daß die moralisierende Gesinnungsästhetik in beiden deutschen Staaten dominierte. Das verweist auf eine strukturelle Ähnlichkeit, die stärker war als die Unterschiede der Systeme und Bündnisse. Moralisierung bedeutet hier, objektive Konflikte, die nicht bewältigt sind oder nicht (vollständig) benannt werden dürfen, auf eine subjektive Fehlleistung zu reduzieren, die durch Buß- (bzw. hypermoralischen Kunst-)übungen überwunden wird. Um das auf die aktuelle Diskussion um Grass zu übertragen: Der Vorwurf, er habe sich nicht früh genug zu seiner Vergangenheit bekannt, ist aus mancherlei Gründen stichhaltig, aber nebensächlich. Die Frage muß lauten: Nach welcher Maßgabe und vor wem muß Grass sich eigentlich „schuldig“ fühlen und dafür rechtfertigen, daß er als 17jähriger zur Waffen-SS eingezogen wurde? Vor einem damals 20jährigen britischen Bomberpiloten? Oder einem der zahlreichen russischen Vergewaltiger seiner Mutter vielleicht? Grass teilt – erst jetzt! – in einer bewegenden Passage mit, daß die Kolonialwarenhändlerin Helene Grass (1898-1954) vielfach vergewaltigt worden war, und daß sie sich, um die minderjährige Tochter zu schützen, dafür „ersatzweise angeboten“ hatte. „Während der wenigen Jahre, die ihr noch blieben, hat meine Mutter nie einen Satz auch nur begonnen, nie ein Wort fallen lassen, aus denen herauszuhören gewesen wäre, was im leergeräumten Geschäft, unten im Keller und sonstwo geschah (…).“ Das sind in der Tat Ironien, Zweideutigkeiten und Ambivalenzen der Geschichte, die sich freilich schlecht mit einer Ästhetik bewältigen lassen, die sich als Kehrseite einer angelsächsischen (oder russisch-bolschewistischen) „Handlungsethik“ versteht. Angesichts der Grass-Krise sehen wir uns wieder auf eine literarische Tradition verwiesen, für die beispielhaft Ernst von Salomons „Fragebogen“ steht. Nicht nur, daß sie nicht weiterentwikkelt wurde, sie wurde sogar planvoll in die Vergessenheit gestoßen. Doch das kann sich ja ändern. Denn auf der anderen Seite erscheint die moralisierende Literatur, die heute noch ganz überwiegend den deutschen Nachkriegskanon bestimmt, als ein Anschreien ihrer Verfasser gegen wesentliche Teile der eigene Erfahrungen, und zwar um des Erfolgs willen. Um dieser Koinzidenz von Literatur und Macht gründlich nachzugehen, müßte man bei der totalen Niederlage von 1945 beginnen, denn hier liegt die historische Wurzel der Gesinnungsästhetik. In Lars von Triers Neo-Noir-Film „Europa“, der unmittelbar nach Kriegsende in Deutschland spielt, begeht ein harmloser Schlafwagenfabrikant Selbstmord. Er war kein Nazi, aber er möchte auch kein Besiegter und gezwungen sein, um des bloßen Überlebens willen zum Kollaborateur der Sieger zu werden, weil er damit sein Innerstes verleugnen müßte. Für junge, angehende Literaten in Deutschland konnte das verständlicherweise kein Ausweg sein. In der DDR war der neue Geist, der literarisch bedient werden wollte, leibhaftig in der oktroyierten Staatsmacht greifbar. Die größten Erfolge fuhr dort Christa Wolf ein, eine achtbare, wenn auch kaum mehr als mittelmäßige Schriftstellerin. Sie arbeitete ihr Schuldbewußtsein, das sie als ehemalige BDM-Führerin haben zu müssen glaubte, am eindringlichsten ab. Im Westen erzwang der oktroyierte Kulturbetrieb eine vergleichbare Anpassung. Die deutsch-deutsche Gesinnungsästhetik (und die ihr immanente deutsche Selbstanklage) war der Kompromiß, der eine begrenzte Selbstthematisierung erlaubte, ohne mit den Machtverhältnissen zu kollidieren, die sich aus der Niederlage ergaben. Wie seine Worte leuchten, duften, schreien und flüstern Wenn sich trotzdem literarische Werke behaupten werden, dann nicht wegen gesteigerter „Urbanität“, sondern wegen ihrer „deutschen“ Anteile. In den besten Büchern von Christa Wolf ist es die Innerlichkeit, was meint: „Zartheit, den Tiefsinn des Herzens, unweltliche Versponnenheit, Naturfrömmigkeit, reinster Ernst des Gedankens und des Gewissens“, so die schöne Aufzählung von Thomas Mann. Bei dem bedeutenderen Günter Grass sind es der Genius loci seiner Heimatstadt Danzig, die Tradition des Schelmen- und Entwicklungsromans und eine dem Barock abgelauschte Sprachmacht: Wie seine Worte schmecken, duften, streicheln, leuchten, schreien und flüstern! Freilich: Sein literarisches Gesamtwerk stellt sich als eine qualvolle Agonie aus den Höhen der „Blechtrommel“ in die Niederungen des „Butt“ und des „Weiten Feldes“ dar, retardierende Momente wie „Das Treffen in Telgte“ nicht zu vergessen. Die 2003 veröffentlichten Novelle „Der Krebsgang“, die von der „Gustloff“-Katastrophe handelt (JF 8/02), beginnt mit der Frage: „Warum erst jetzt?“ Sie drückt, wie man sich jetzt denken kann, auch Trauer über versäumte Lebensthemen, künstlerischen Opportunismus und die Verschwendung seines Talents an Nichtigkeiten aus. Der Moralist Günter Grass ist erledigt, der Literat von Tragik umwölkt. Foto: Günter Grass (M.) zwischen Heinrich Böll und Bundeskanzler Willy Brandt beim 1. Kongreß des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) am 21. November 1970 Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel. Steidl Verlag, Göttingen 2006, gebunden, 480 Seiten, 24 Euro

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