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Die ausgemusterte Armee

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Seitdem Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) die Devise ausgab, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, erlebt die Bundeswehr den größten Umbau seit ihrer Aufstellung in den fünfziger Jahren. Vom Gedanken der klassischen Landesverteidigung hat sich die rot-grüne Koalition verabschiedet. Die neue, verkleinerte Truppe soll ausschließlich auf internationale Einsätze getrimmt werden. Die Wehrpflicht wird dafür in näherer Zukunft nicht mehr benötigt. Denn wenn deutsche Soldaten künftig nur noch in Afrika oder Asien unterwegs sind, entfällt die Legitimierung für einen Pflichtdienst, der zum Schutz der Heimat gedacht war. Die Bundesrepublik hat eine ausgeprägte Debattenkultur: Die mißglückte Lkw-Maut, Gesundheits- und Steuerreform sowie das Dosenpfand sind die Hauptthemen. Aber kaum ein Wort wird über den Schutz dieses Staates und seiner Bürger verloren. Der Bundestag hat bisher keine Debatte über Strucks Bundeswehrpläne geführt, die letztendlich zur Folge haben, daß Deutschland äußeren und vor allem asymmetrischen Bedrohungen im Inneren weitgehend schutzlos gegenübersteht. Dabei heißt es im Grundgesetz, daß der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Davon kann jedoch kaum noch die Rede sein. Bis zum Jahr 2010 soll die Gesamtstärke von bisher rund 285.000 auf 250.000 Mann reduziert werden. Die Kürzungen betreffen fast ausschließlich die Wehrdienstplätze, so daß die Wehrungerechtigkeit noch größer werden dürfte. Mit dem Verwaltungsgericht Köln hat erst kürzlich ein erstes Gericht die Klage eines jungen Mannes gegen seinen Einberufungsbescheid angenommen und die Einberufung ausgesetzt. Wenn sich andere Verwaltungsgerichte anschließen, dürfte die Wehrpflicht in kürzerer Frist von den Gerichten gekippt werden. Begründung: Wenn nur noch ein Viertel eines Jahrganges eingezogen wird, kann von Wehrgerechtigkeit keine Rede mehr sein. Struck ist zwar für die Wehrpflicht. Aber seine Maßnahmen lassen das Gegenteil vermuten. Strucks Truppe soll sich künftig aus drei Teilen zusammensetzen: 35.000 Mann sind für Kampfeinsätze rund um den Globus vorgesehen. Weitere 70.000 Mann sollen für stabilisierende Auslandseinsätze zur Verfügung stehen, etwa auf dem Balkan, wo die Lage im Moment relativ ruhig ist. Der große Rest soll im Inland für den Nachschub, für die Ausbildung von Nachwuchs und für die Landesverteidigung, soweit es sie noch geben soll, zuständig sein. Auch diese Reform krankt wie schon der Versuch von Scharping an der Finanzierung. Die jährlichen Ausgaben für Verteidigung wurden durch verschiedene Sparprogramme von Finanzminister Hans Eichel von 24,2 auf inzwischen 23,8 Milliarden Euro heruntergekürzt. Die Privatisierungsbemühungen, die erhebliche Einsparungen bringen sollten, sind bis auf kleine Bereiche wie Pkw-Fuhrpark und Bekleidung gescheitert. Bei den Rüstungsprojekten herrscht jedoch noch der alte Geist des Kalten Krieges: Die Bundeswehr bekommt 180 Eurofighter-Kampfflugzeuge, die sie selbst nach Strucks eigener Definition nicht mehr braucht, weil das Heer die Hauptlast der Auslandseinsätze trägt. Mit Milliarden-Kosten wird ein neues Transportflugzeug beschafft, das frühestens 2009 einsatzbereit sein soll. Gebraucht würden die Kapazitäten jedoch heute, zum Beispiel für die Versorgung der Einheiten in Afghanistan. Statt angebotene Maschinen vom Typ Antonow von der Ukraine zu kaufen und zu modernisieren, mietet Struck lieber Transportkapazitäten: So kostet ein Flug von Köln nach Kabul bis zu 300.000 Dollar. Dafür fehlt es bei den Einsatzkräften an allen Ecken und Enden. Die Truppen-Transporthubschrauber vom Typ CH 53 sind 30 Jahre alt und nur mit großen Mühen einsatzbereit zu halten. Für Hochlagen wie Afghanistan sind diese Maschinen nicht geeignet, auch nicht für afrikanische Feuchtgebiete. Ein Nachfolgemodell ist jedoch nicht in Sicht. Außerdem fehlt es der Truppe an genügend minensicheren Fahrzeugen. Deutsche Soldaten fahren zum Teil in ungesicherten Fahrzeugen. Bei den neuen Modellen wie dem Gepanzerten Transportfahrzeug GTK wurden die Stückzahlen gesenkt, was einen Heeressoldaten zu dem bissigen Kommentar veranlaßte, er habe noch nie ein U-Boot oder einen Eurofighter in Kabul auf Streife gesehen. An der „Heimatfront“ ist die Lage noch bedrohlicher. Struck und Innenminister Otto Schily (SPD) haben zwar auf den Fall eines entführten Kleinflugzeuges reagiert. Anfang letzten Jahres hatte ein offenbar verwirrter Mann ein Flugzeug entführt und über Frankfurt am Main kreisen lassen. In vergleichbaren Fällen, so regelt es ein inzwischen auf den Weg gebrachtes Gesetz, darf der Verteidigungsminister den Befehl zum Abschuß der Maschine geben. Doch weiteres regelt das Gesetz nicht. Was ist beispielsweise, wenn Terroristen ein Einkaufszentrum besetzen und nicht auszuschließen ist, daß sie B- oder C-Waffen besitzen und einsetzen könnten? Polizei und Feuerwehr wären mit dieser Situation überfordert. Für einen Einsatz der Bundeswehr gibt es nach wie vor keine klare Rechtsgrundlage, auch wenn fast alle internationalen Sicherheitsexperten Angriffe von Terroristen für die wahrscheinlichste Variante der Bedrohung westlicher Industriestaaten halten. Auch für den Schutz der Zivilbevölkerung wird zu wenig getan. Wenn es zum Beispiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu einem Zwischenfall mit mehreren tausend Verletzten kommen sollte, wären die Zivilbehörden überfordert. Die Bundeswehr baut jedoch ihre Reserve-Lazarett-Kapazitäten vollständig ab. Bei Naturkatastrophen wird es bei Strucks neuer Struktur keine schnelle Hilfe mehr geben. Die Bundeswehr zieht sich aus der Fläche zurück. Bis die Hilfe für gefährdete Zivilisten eingetroffen ist und organisiert werden kann, dürfte viel zuviel Zeit vergehen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Wehrpflicht kaum noch zu halten sein. Es ist jungen Männern nicht plausibel zu machen, warum sie für Einsätze in aller Welt ausgebildet werden, aber im Bedarfsfall im Inland wenig oder gar nichts für ihre Landsleute tun können. Dann bekommt Deutschland eine Berufsarmee, schlecht ausgerüstet, schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt. Söldner aus Osteuropa werden sich melden. Das ist kein Horrorszenario, sondern bereits heute ein Teil der Realität in der Bundeswehr, die viele Soldaten aus Aussiedlergruppen gewinnt, die auf dem zivilen Arbeitsmarkt nur geringe Chancen haben. Mit einer solchen Truppe ist Heimat nicht mehr zu verteidigen und das Vaterland im Bedarfsfall nicht mehr zu retten. Rekruten beim Gelöbnis auf dem Hamburger Rathausmarkt: Wehrpflicht dürfte kaum noch zu halten sein

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