Es war kein dramatischer Erdrutsch – jedenfalls wurde er von den Europäern nicht als solcher empfunden. Dennoch sollte einen leichtes Unbehagen befallen – bei den Kommunalwahlen in der Türkei fuhren die angeblich „gemäßigten“ Islamisten der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei von Premier Recep Tayyip Erdogan einen haushohen Sieg ein. Rechnet man die offen radikalen Islamisten dazu, so hat sich fast das halbe Wahlvolk von den laizistischen Parteien abgewandt. Noch so ein Wahlergebnis, und man wird sich fragen müssen, ob die Türkei nicht drauf und dran ist, die Farben zu wechseln. Zwar ist es üblich, Wahlergebnisse dieser Art zu bagatellisieren. Aber man wird noch fragen dürfen: Was sind gemäßigte Islamisten und wer bestimmt, wer zu den „braven“ oder zu den harten „extremistischen“ Exponenten zählt? Und wenn man schon eine erkennbare Grenze oder Unterscheidung zwischen beiden ausmacht – wer garantiert dafür, daß diese Grenze nach Jahren – etwa wenn die Aufnahme Ankaras in die EU tatsächlich spruchreif werden sollte, daß diese Grenze auch dann noch etwa entlang der gleichen Linien verläuft wie heute? Was wird das vielgeschmähte türkische Militär noch wert sein (an innerer und äußerer Kampfkraft und Disziplin), wenn sich das al-Qaida-Gespenst immer weiter ausbreitet? Wie werden die türkischen Wähler reagieren, wenn es nach anfänglichen Hoffnungen zu unvermeidlichen Enttäuschungen an Europa kommt? Schließlich – wer vermag in die Köpfe Erdogans und anderer „gemäßigt“ islamistischer Politiker hineinzusehen? Sind sie wirklich so tolerant und milde wie sie sich heute darstellen?