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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Schaumwein aus der Sektbar

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Wer im Berliner Bezirk Spandau aufgewachsen ist, geht noch immer „zu Hertie“, obwohl längst „Karstadt“ in großen Lettern an der Fassade prangt. Dies mag oft für allerlei Verwirrung und mancherlei Anekdote gesorgt haben, gehört jedoch zum Alltagsleben und zur Tradition in diesem westlichsten aller Stadtteile. Sieht man von der namentlichen Entweihung dieser festen Institution – immerhin ließ man dem prestigeträchtigeren Berliner KaDeWe seinen historischen, fast denkmalgeschützten Titel – einmal ab, so wundert sich der gemeine Kunde, wie die Handelskette, der er seit frühester Kindheit fleißig seine Taler zuträgt, seit September diesen Jahres derart tief in die Krise rutschen konnte, daß ihr nun der Ruin droht. Ein Blick auf Strukturen und Beteiligungsgefüge des Karstadt-Quelle-Konzerns der Tochterunternehmen offenbart selbst dem ökonomisch Unversiertesten ein unübersichtliches Tohuwabohu ohne den Hauch einer klaren Linie, geschweige denn eines geordneten „Einkaufszettels“, wie ihn selbst Privatpersonen nutzen: Alles begann mit dem Erwerb des kränkelnden Kauf- und Versandhauses Neckermann, einstiges Vorzeigeobjekt des deutschen Wirtschaftswunders, das sich rasch als verstaubter Sanierungsfall erwies. Doch auch die Fusion mit dem Rivalen Hertie (inklusive Wertheim, Alsterhaus und KaDeWe) handelte dem Konsumgiganten nur den nächsten Problemfall ein. Die aus der an sich cleveren „Wegfusionierung“ einstiger Mitbewerber erhofften Synergieeffekte versandeten jedoch in Strategie- und Managementfehlern, Kannibalisierung durch interne Konkurrenz, praktisch identischen Standorten und Kundenklientel sowie der allgemeinen Konsumflaute und Kaufzurückhaltung der Deutschen. Dennoch ging die expansive Einkaufstour des Essener Konzerns willkürlich weiter. Neben als spießig geltenden und gänzlich unrentablen Zukäufen wie Sinn Leffers oder Wehmeyer sowie Beteiligungen an Fitness-Studios gesellten sich der defizitäre Sportsender DSF und letztendlich das Deutschlandgeschäft der US-Kaffeehauskette Starbucks hinzu. Während sich andere Handelskonzerne bereits längst wieder auf ihre Kernkompetenzen konzentrierten, verzettelte sich die Karstadt-Quelle-Führung zunehmend in ihrem orgiastischen, größtenteils auf Pump finanzierten Kaufrausch, sehr zur Freude der beteiligten Banken. Doch auch das Verschlafen von Konsumtrends und das Verkennen der Kundenbedürfnisse brandmarkt sich tief in die Bilanzen der Einzelhandelsgruppe ein. So wurden die ohnehin eher hochpreisigen Lebensmittelabteilungen in vermeintliche Schlemmermeilen umtituliert, wo man mit zierlichen, goldfarbenen Einkaufswägelchen und einem Schluck Schaumwein aus der Sektbar die vielfach überhöhten Preise der besonders aufwendig präsentierten Lebensmittel versüßen wollte. Wer jedoch die vor Billigketten wie Aldi, Penny oder Lidl geparkten Nobelkarossen betrachtet, ist sich längst bewußt, wo selbst die betuchtere Klientel ihren Familien- und Wochenendeinkauf tätigt und sich bei den Gebrüdern Albrecht als größtem deutschen PC-Händler ein neues Notebook oder den DVD-Spieler gönnt. Trotz der gerade an Wochenenden oder zum Weihnachtsgeschäft hin bis zum Bersten gefüllten Warenhausetagen versalzt dem krisengeschüttelten klassischen Einzelhandel ein weiteres Phänomen die Suppe: die Schnäppchenjagd als Volkssport. Obgleich Fachmärkte der „Es lebe billig!“- oder „Geiz ist geil!“-Couleur sogar mitunter teurer sind, lockt die eingebildete Ersparnis den Käufer in deren Verkaufsräume. Dehnt man die Betrachtung dieses pekuniären Imageproblems jedoch weiter aus, so spielt bei diesem Prozeß auch die oft mutmaßlich mangelnde fachliche Kompetenz der Kaufhausverkäufer eine gewichtige Rolle, gerade bei elektronischen, technischen und erklärungsbedürftigen Produkten. Dieser Eindruck, die gängigen Klischees über den Berufsstand der Verkäufer fairerweise ausgeklammert, hat sich durch eine permanente Ausdünnung des Personals – pardon: Rationalisierung – deutlich verstärkt, wenn Angestellte bedingt durch chronischen Personalmangel sachfremde Abteilungen mitbetreuen müssen oder ihnen durch das Auspacken und Sortieren der Waren die Zeit für die Beratung fehlt. Oder würden Sie die oftmals vierstellige Investition in einen teuren Fernseher, ein edles Sportrades, eine Profi-Videoausrüstung oder den mühsam ersparten Computer einem ehemaligen Hosenverkäufer anvertrauen, der nicht den Eindruck erweckt, sich mit Fachlektüre fortzubilden, geschweige denn das Fachchinesisch übersetzen zu können? Bei Billigheimern ist dieses Problem oft noch viel gravierender, wird jedoch schauspielerisch besser kaschiert. Doch auch Faktoren wie die Verkehrsdichte, mitunter rasant gestiegene Geschäftsmieten und teure Parkplätze sorgen dafür, daß gerade Familien den Streß einer Einkaufsfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln meiden und lieber von vorneherein auf die nach dem Vorbild der autofreundlichen US-Malls „auf der grünen Wiese“ errichteten Einkaufszentren ausweichen, wo zudem das Shopping mit diversen angebotenen Randaktivitäten zum Erlebnisausflug ohne rotierende Parkuhr wird. Auch das Internet schaufelt am Grab der als Dinosaurier belächelten Konsumtempel. Senken deren Webauftritte allenfalls die Druckkosten für Prospekte, so hat sich der geplante Einstieg von Karstadt-Quelle im Internet-Auktionhaus eBay bis dato im Sande verlaufen, wobei es sich bei dieser Plattform ohnehin um den ärgsten Feind der alteingesessenen Kaufleute handeln dürfte. Zwar wiegt die Zahl der durch eBay & Co. geschaffenen neuen Existenzen den Personalabbau im Einzelhandel in etwa wieder auf, jedoch verschaffen die im Internet ergatterten, oft überteuerten Käufe ein neues Unterhaltungsgefühl beim Verbraucher: den Kick, andere übertrumpft oder ausgestochen zu haben. Fazit: Selbst wenn die geplanten Sanierungsmaßnahmen wie Neugestaltung, Personalabbau, Filialhalbierung, oder neue Fachläden-Konzepte (Shop-in-Shop) anschlagen sollten, wird das klassische Kaufhaus trotz seiner exponierten Lage und der damit verbundenen treuen und eher konservativen Käuferschicht ein Sorgenkind bleiben. Entsprechend getrübt bleibt der Ausblick für die rund 100.000 Beschäftigten des Handelsriesen sowie die Gewißheit, künftig für noch weniger Geld noch mehr arbeiten zu dürfen, um anderen – egal, ob vor oder hinter den Kulissen – den Kaufrausch zu ermöglichen.

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