Gerade zwei Jahre ist es her, daß die PDS in die völlige Bedeutungslosigkeit abzudriften schien, und nun geht plötzlich für die gewendete und gewandte SED-Nachfolgepartei die Sonne wieder im Osten auf. In Sachsen und in Brandenburg, wo am 19. September Landtagswahlen anstehen, ist die PDS bereits zweitstärkste Kraft und schickt sich an, der CDU die Spitzenstellung streitig zu machen: Während die Union in den neuen Ländern in Umfragen seit März von 37,5 auf knapp 32 Prozent gefallen ist, hat die PDS dort im selben Zeitraum von 21,5 auf gut 27 Prozent zugelegt und läßt die SPD hinter sich, die zur Zeit gut 22 Prozent erreicht. Merkwürdig daran ist, daß nun all jene Alarm schlagen, die sich noch vor einiger Zeit mit dem Gedanken trugen: Wenn’s denn gar nicht aus eigener Kraft zu schaffen ist, die Macht zu erringen, dann solle man doch ruhig auf die „Liebesdienste“ der PDS zurückgreifen, so wie in Berlin geschehen. Dabei zeigten sich etliche überzeugt, daß die PDS sich im Falle eines Falles durchaus als nützlicher Steigbügelhalter erweisen könnte. Doch eine PDS in der Herrlichkeit eigener Machtgröße, dies schreckt die Bürgerlichen zutiefst auf und verstört die SPD, die sich auf einmal in die Rolle des Stallburschen gedrängt sieht, welche der Potsdamer Spitzenkandidatin Dagmar Enkelmann dabei zuschauen darf, wie sie sich in den Sattel schwingt, während Gregor Gysi mit Oskar Lafontaine laut darüber nachdenkt, wie ein linker Fundamentalismus auch im Westen wieder an Boden gewinnen könne. Das Erstarken der PDS gibt mancherlei Rätsel auf, und es fällt vielen schwer zu begreifen, was da eigentlich vor sich geht. Ist es wirklich nur Hartz IV, was die PDS die Trommelstöcke wirbeln läßt? Es dürfte hier wohl so einiges zusammenkommen, was zwar nicht unbedingt zusammengehört, aber sich letztlich doch darin eins ist, gemeinsam eine Lunte anzulegen. Der Aufwind wird von vielen mitgetragen Nunmehr scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, denn Hartz IV stellt so etwas wie einen Initialzündung dar, welche die in Mitteldeutschland vielfach anzutreffende Verbitterung über ein verpfuschtes Leben gleichsam in einen Strom des Zornes einmünden läßt. Die Wut, die sich jetzt auf den Straßen und Plätzen gegen den Staat in gewaltsamen Kundgebungen und Protestmärschen Bahn schafft, speist sich aus vielerlei Quellen. So etwa der Überzeugung, daß der industrielle Kahlschlag, der von einer Stunde zur anderen Hunderttausende von Menschen um ihre Existenz brachte, falsch und unüberlegt gewesen sei, wenn nicht überhaupt in der Absicht geschehen, sich künftige Konkurrenz vom Leibe zu halten. Der Spitzenkandidat der PDS in Sachsen, Peter Porsch, kann sich da unbesorgt schwer stasibelastet der Öffentlichkeit präsentieren, wenn er denn in diese Kerbe einschlägt und ausspricht, was derzeit alle hören wollen. Überhaupt ist schon längst die Demagogie an die Stelle der Wahrheit getreten. Der Bundesvorsitzende der PDS, Lothar Bisky, bislang darauf bedacht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß die PDS von heute mit der SED von gestern nichts mehr verbinde, kennt plötzlich keinerlei Bedenken mehr, Seite an Seite mit einem Mann Mielkes um die Gunst der Öffentlichkeit zu buhlen. „Dieses Land hat ein Politikproblem“, verlautbart Bisky, während der Genosse Porsch dazu eifrig nickt – was für eine hohnvolle Szene. Der Aufwind, in welchem sich die PDS befindet, wird von vielen mitgetragen, die sich nach der Wiedervereinigung ins Abseits gedrängt sahen, weil es dem Westen am erforderlichen Einfühlungsvermögen fehlte. Nicht bloß mit einer maroden Wirtschaft galt es sich zu befassen, sondern vor allem auch mit menschlichen Schicksalen: den abgewickelten Wissenschaftlern an den Universitäten, den Schiffsbauingenieuren von Stralsund, die nun niemand mehr benötigte, sowie anfänglich auch den Ärzten der Berliner Charité, denen man ihr bisheriges Können in Abrede stellte. Jetzt aber verkündet triumphierend die PDS: Seht, wie weit es mit einem bornierten Staatswesen gekommen ist, das es niemals für wert befunden hat, den Menschen in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen! „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Politik“ Daß da im Unterbewußtsein etwas assoziiert wird, was einstmals zur Standardformel des SED-Staates gehörte: „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Politik von Partei und Regierung“, dies liegt geradezu auf der Hand. Einst bezeichnete sich die SED in ihrer maßlosen Selbstgefälligkeit als Sieger der Geschichte. Jetzt spricht aus manche Aussage der PDS-Funktionäre schon wieder die Überzeugung, daß auch eine zweite Wende im Bereich des Möglichen liegen könnte. In Brandenburg kommt dies am deutlichsten zur Sprache. Der letzte SED-Bezirksparteichef von Potsdam und jetzige Fraktionsgeschäftsführer der PDS, Heinz Vietze, nach eigenen Worten stolz auf seine Zusammenarbeit mit der Stasi, rechnet in harschem Ton mit der Landesregierung ab, die so ziemlich alles in den märkischen Sand gesetzt habe- sei es nun die Chipfabrik in Frankfurt/Oder, das Zeppelinbauunternehmen „Cargo-Lifter“ in Brand oder die Landesentwicklungsgesellschaft. Erstaunlich bei all dem bleibt, daß jene, die jetzt der PDS hinterherlaufen, sich überhaupt keine Gedanken darüber zu machen scheinen, ob die Partei ihre umfangreichen Versprechungen überhaupt halten kann. Foto: Landtagswahlkampf in Sachsen: Eine starke PDS schreckt die Bürgerlichen auf und irritiert die SPD