Wer einige Jahre den österreichisch-slowakischen Grenzübergang Berg-Engerau/Petrzalka nicht mehr passiert hat, ist überrascht. Die Slowakei, bis 1998 dank des umstrittenen Ministerpräsidenten Vladimír Meciar als „Schmuddelkind“ verschrien und mit Korruption und Entführungsgeschichten in den Schlagzeilen, hat enorm aufgeholt. Das 5,3-Millionen-Land, dem 1999 die Nato-Aufnahme verwehrt wurde und dessen EU-Beitritt in weiter Ferne lag, schien den Anschluß zu Polen und Ungarn verloren zu haben. Doch trotz der sechs Meciar-Jahre entwickelte sich die Slowakei zum beliebten Standort nobler Autokonzerne. VW produziert seit Jahren erfolgreich in Preßburg – selbst die Karossen für Porsches Cayenne kommen von dort. Über die mangelnde „EU-Reife“ der Slowakei wird kaum noch geklagt. Selbst den Verlust der Parlamentsmehrheit für den christliberalen Premier Mikulás Dzurinda spielen westliche Industrieführer herunter: Man könne auch ohne Regierung auskommen, wenn die Investitionsbedingungen stimmten. Und mit den „hervorragend ausgebildeten“, disziplinierten jungen Slowaken seien sie zufrieden – die rapide wachsende Minderheit der Zigeuner lebt hingegen „vergessen“ (und zu fast 100 Prozent arbeitslos) im Osten des Landes. Die Hauptstadt Preßburg (ab 1919 slowakisch Bratislava), die jahrhundertelang eine ungarische, deutsche und jüdische Metropole war (während das slowakische Bauernvolk „draußen“ blieb), hat sich aus dem bleiernen Schlaf des Kommunismus erhoben. Die verwahrloste barocke und gotische Altstadt erwacht seit 1993 zu neuem Leben. Noch immer prangt die ungarische Stefanskrone über dem Sankt Martinsdom, in dem 1741 Kaiserin Maria Theresia zur Königin der Magyaren gekrönt wurde. Preßburg/Pozsony war 1526 bis 1784 ungarische Hauptstadt – und bis zum Ende der Donaumonarchie hieß die Slowakei „Oberungarn“. Unter den zehn wichtigsten Slowaken, die in einer offiziösen Broschüre aufgelistet werden, findet man nicht nur Meciar (der „Nationalpopulist“ handelte 1992 mit dem damaligen Prager Premier Václav Klaus die friedliche Auflösung der Tschechoslowakei aus) und Alexander Dubcek (KP-Chef während des „Prager Frühlings“ 1968). In Deutschland undenkbar, befinden sich in dem Heft auch zwei „Unpersonen“: der 1938 verstorbene Andrej Hlinka und Jozef Tiso – die „Väter“ der slowakischen Nationalidee. Über den 1947 wegen Hochverrats hingerichteten katholischen Monsignore heißt es: „Tisos Name ist im heutigen politischen Klima beinahe ein Tabu. Obwohl heute unpopulär, ist sein Platz in der Geschichte garantiert, denn er war der einzige Präsident der Slowakei vor 1993.“ Preßburg wird ab 1. Mai die einzige EU-Hauptstadt sein, die in unmittelbarer Nähe einer anderen liegt: bis Wien sind es knapp 50 Kilometer. Im Preßburger Opernhaus kann man beachtliche Opernaufführungen erleben, für die man in Wien ein mehrfaches zahlen müßte – und der Touristenstrom nimmt weiter zu, nicht nur wegen des beliebten Demanovka-Schnapses. Die Fremdenführer betonen auch immer wieder, die Slowakei habe „keine Probleme mit den Benes-Dekreten“. Doch auf dem Preßburger Hauptplatz steht die überdimensionierte US-Botschaft – schwer bewacht hinter Stacheldraht. Unmittelbar dahinter liegen die Vertretungen der Tschechei – und Deutschlands. Schon an der Rangfolge merkt man, wer hier nun das Sagen hat.