Das MoMA sei der Star, steht überall in der Stadt zu lesen. Und damit kein Berliner hinter dem Kürzel MoMA etwa ein Berliner Morgen-Magazin vermutet, müsse das New Yorker Museum of Modern Art als „Marke“ präsentiert werden, meint Anwalt Peter Raue, der auch Anwalt der Kunst ist, nämlich Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Kein Star ohne Groupies im Gefolge. Kaum leuchtet die Marke in konservativem Gold auf fortschrittlich pinkfarbener Fläche von Plakaten, Stiften, Schals, Taschen und Tüten, da beschwören auch schon zwei nicht ganz unbekannte Schirmherren namens Powell und Fischer einträchtig wie nie die (US-)amerikanisch-deutsche Freundschaft, trägt uns eine Kulturstaatsministerin auf, an dem Bild, das US-Amerikaner und Deutsche voneinander hätten, ganz erheblich zu arbeiten, und schwadroniert zuletzt noch Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen, von einer „love story voller Emotionen“ zwischen Nationalgalerie und MoMA und begrüßt die „triumphale Rückkehr der verlorenen Moderne“. Dabei hätte Schuster, rein zufällig auch Direktor der Nationalgalerie, längst tragfähige Konzepte vorlegen können, wie denn die nichtverlorene Moderne, über die Berlin reichlich verfügt, einigermaßen triumphal zu präsentieren sei. Der Mann scheint von der hauseigenen Sammlung so wenig überzeugt zu sein, daß er für zwei Beckmanns aus dem MoMA die elf Beckmanns der Nationalgalerie für sieben Monate im Magazin einsargen läßt, anstatt sie den eingeflogenen Kunstwerken in geeigneter Weise gegenüberzustellen. Nicht den Kulturkriegs- und Kriegskulturpolitikern, die nur auf einen Zug aufgesprungen sind, der gar nicht in ihrem Fahrplan gestanden hatte, gebührt das Verdienst, den Zug aufs Gleis gesetzt zu haben, sondern Peter Raue, dem unverantwortlichen Träumer mit ansteckenden Träumen, von denen unser Gemeinwesen um so mehr braucht, je weniger es noch aushält. Weil das Stammhaus in Manhattan von dem japanischen Architekten Yoshio Taniguchi umgebaut und erweitert wird und sein Bestand ohnehin ausgelagert werden muß, plante Direktor Glenn D. Lowry eine Tournee durch Europa. Peter Raue träumte von sieben Monaten MoMA in Berlin, und zwar in dem einzigen eigenständigen Museumsbau jenes Architekten, den sich Gründungsdirektor Alfred H. Barr Jr. 1936 vergeblich für den Neubau seines Museums in Manhatten gewünscht hatte: Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie. Bitteres Lehrstück über den Kunstbetrieb im Liberalismus Raues Traum ist wahr geworden. Weil die Ausstellung 8,5 Millionen Euro kosten wird, auch von 12 Millionen geht die Rede, wovon die Hälfte allein auf die Leihgebühr entfallen dürfte, über deren Höhe eisern geschwiegen wird, träumt Raue von 700.000, mindestens jedoch 550.000 Besuchern. Auch dieser Traum muß sich erfüllen, soll der Verein der Freunde der Nationalgalerie nicht Insolvenz anmelden. Am Eröffnungswochenende standen die Besucher anderthalb bis zwei Stunden in der Schlange. Wir wissen, es besteht eine verschlossene Welt, stumm und ohne Bilder. Wer einem entfesselten Wirtschaftsliberalismus das Wort redet, der darf sich über dessen Konsequenzen, Sponsoring und Merchandising, nicht mokieren! Doch widerfährt den Exponaten der Ausstellung Gerechtigkeit, wenn Zustandekommen und Konzept allein auf ein bitteres Lehrstück über den Kunstbetrieb im Zeitalter des Wirtschaftsliberalismus reduziert wird? Kann ihnen sehend – und schreibend – überhaupt begegnet werden, ohne sich zum Handlanger unseliger Museums-Manager zu machen? Wo, wenn nicht hier hat das Wort von Alfred H. Barr Jr. zu gelten, daß die Pforte zum Verständnis von Kunst das unmittelbare Erlebnis des Kunstwerks sei? Allein die überwältigende Wirkung ihrer Bilder und Skulpturen läßt den Besucher das merkantile Treiben um die Privatausstellung auf kurze Zeit verdrängen, für deren exorbitante Versicherungsrisiken eine Bundesregierung bürgt, derweil einige hundert Meter weiter deutsches Kulturerbe zerfällt, sei es die Handschrift der Matthäus-Passion in der Berliner Staatsbibliothek oder sei es Knobelsdorffs Lindenoper. Als wäre die Moderne ein Zug, der geradlinig durch die Zeitenläufte brauste und an jedem größeren Bahnhof einen neuen Waggon angekoppelt bekäme, folgen Meister auf Meister, Meisterwerk auf Meisterwerk, Stil auf Stil. Die Titel für die Räume und für die Kapitel des Katalogs zitieren wichtige Ausstellungen des MoMA, angefangen bei der Eröffnungsausstellung vom November 1929 mit den Postimpressionisten „Cézanne, Gauguin, Seurat, van Gogh“, damals noch durchgehend mit Leihgaben bestückt. Von den „Modernen Anfängen“ des Symbolismus, Fauvismus und späterer symbolistischer Strömungen geht es stracks zu „Matisse – Picasso“, zu „Kubismus und abstrakte Kunst“, „Phantastische Kunst, Dada, Surrealismus“. Die „Neuen Menschenbilder“ Beckmanns, Modiglianis, Bonnards und Hoppers machen eingestandenermaßen Schwierigkeiten, wollen sich doch figurative Skulptur und gegenständliche Malerei so gar nicht in ein Bild von Avantgarde einpassen, in dem Pop Art und Minimalismus einzig als „Die Kunst des Realen“ erscheinen. Doch war es paradoxerweise „Die neue amerikanische Malerei“ der abstrakten Expressionisten aus der Nachkriegszeit, die ihre Interpreten zwang, einen einspurigen Begriff von Kunstfortschritt und Moderne in Frage zu stellen. Je mehr sich die Ausstellung ihrem Zielbahnhof Gegenwart nähert, desto unübersichtlicher wird das Gewirr der Weichen, Gleise und Nebengleise. An ihrem „Offenen Ende“ reformuliert sie die Fragen, welche die Modernen, die Modernisten seit über einem Jahrhundert umtrieben, auf überraschende Weise. Sie stellt die späten Bilder Philip Gustons, in denen er eine Wende von der abstrakten zur gegenständlichen Malerei vollzog, zu jenem Werk eines deutschen Malers von Weltruf, das Deutschland verlorengegeben hat: Gerhard Richters fünfzehnteiliger Zyklus „18. Oktober 1977“, 1988 fertiggestellt, 1995 dem MoMA verkauft. Die Einzigartigkeit des Museum of Modern Art beruht auf der konsequenten Umsetzung des multi departmental-Konzepts seines damals 27jährigen Gründungsdirektors, neben Malerei, Skulptur und Graphik auch Industriedesign, Architektur, Film und Photographie zu sammeln und auszustellen, um deren Wechselwirkungen einsichtig zu machen. (Übrigens zeigt die Berliner Galerie Kicken noch bis zum September Fotografien, die zum Bestand des MoMA zählen oder im MoMA ausgestellt waren.) Die Berliner Schau, von Angela Schneider, John Elderfield, Anke Daemgen und Angela C. Lange kuratiert, muß sich auf Malerei und Skulptur beschränken und repräsentiert allein schon aus diesem Grund keinesfalls den „Kanon“ der Moderne. Vielmehr beschreibt sie ihren Weg von Frankreich nach Europa und in die USA und die Ablösung der US-amerikanischen Moderne von ihren europäischen Wurzeln – aus US-amerikanischer Sicht. Darüber hinaus vermitteln die Texte im Katalogbuch, allen voran der Aufsatz von Chefkurator John Elderfield, der auch die Konzeption der Ausstellung begründet, aufmerksam gelesen, Einsichten in die Sammlungspolitik des MoMA und in die Art und Weise, wie mit Kunst Politik zu machen ist. Wer sich Kunstdiktaten beugt, dem bleiben die Werke stumm. Zum Ende der Pressebesichtigung hin, einen Tag vor der eigentlichen Eröffnung der Ausstellung, wird mir unverhofft ein Privileg zuteil, das kaum einem Besucher sonst vergönnt sein wird und das ich auch jetzt noch, Tage später, als vollkommen unwirklich empfinde. Die Pressemeute, zu der ich ja an diesem Tag gehöre, hat sich zerstreut, einige sind schon fort, zurück in ihre Redaktionen, an ihre Laptops, andere trinken ihren Latte oder Cappuccino in der Vorhalle – und unversehens bin ich, von einigen versprengten Fernsehteams und dem Aufsichtspersonal abgesehen, für eine Stunde allein mit Bildern und Skulpturen. Das merkantile Treiben vor Überwältigung vergessen Alle Sichtachsen der Ausstellung sind nur für mich angelegt, niemand verstellt mir den Blick auf Monets breitformatige „Seerosen“, keiner drängelt vor Chagalls „Über Witebsk“ und „Ich und das Dorf“, ich umschreite Rodins „Johannes der Täufer als Prediger“, lasse alle Exponate „Ohne Titel“ arrogant links liegen, suche Jackson Pollocks Körper fünf Faden tief in seinen Bildern, verwechsle Picasso mit Braque, blinzle Paul Klees Katze zu, die mich nicht beachtet, weil sie nur ihren Vogel vorm oder im Kopf hat, und trete verboten dicht an van Goghs „Sternennacht“ heran, um mich Strich für Strich an diesem einen Gemälde, stellvertretend für alle anderen, davon zu überzeugen, daß es sich wirklich um das Original aus dem MoMA handelt und nicht etwa um einen Großdruck von der Ansichtskarte aus dem „Museums-Shop“ nebenan. Während ich hinausgehe, beginnen mir meine Bilder schon zu fehlen! Der Blick geht auf Barnett Newmans Skulptur „Gebrochener Obelisk“, der kopfüber auf einer Pyramide balanciert, Spitze auf Spitze, insgesamt acht Meter hoch, Martin Luther King gewidmet. Mag er dem einen als Sinnbild für die abgebrochene Kontinuität der Moderne stehen oder dafür, daß New York nach 1933 bekommen, was Berlin verloren hat, dem anderen für die Vereinbarkeit von Unvereinbarem, von Kunstereignis und Eventkultur, einem dritten für die Hoffnung, die Deutschen würden einmal Partikular- und Allgemeininteresse ausbalancieren, Spitze auf Spitze, zu ihrer Hauptstadt finden und zu einer nationalen Kulturpolitik, die diesen Namen verdiente. Auf jeden Fall wird Newmans Gegen-Denkmal bis in den September hinein stehen, ohne einzuknicken. Die Füße wissen es besser als die Augen: Der Blick auf die Skulptur lenkt gefährlich von den maroden Bodenplatten ab, die – wie Mies van der Rohes Museumsbau insgesamt – dringend saniert werden müssen. Die Ausstellung ist bis zum 19. September 2004 täglich außer montags ab 10 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, zu sehen. Der Katalog, erschienen im Hatje Cantz Verlag Ostfilden-Ruit, kostet in der Ausstellung 29 Euro. Info: 0180 / 5 22 10 34, Internet: www.das-moma-in-berlin.de Bilder: Roy Lichtenstein, „Ertrinkendes Mädchen“ (Öl und Kunstharz auf Leinwand, 1963): Künstlich real / Paul Cézanne, „Der Badende“ (1885): Meister folgt auf Meister
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