Man hat es kommen sehen. Wenn Deutschland seinen „Superstar“ wählen kann, warum dann nicht auch seinen „Superdichter“? Seit letztem Wochenende ist es soweit. Deutschland hat seinen Superdichter, genauer (und wie könnte es anders sein): seine Superdichterin. Das Land jubelt, allen voran die Stadt Weimar, wo die Superdichterin von einem begeisterten Publikum gekürt wurde, sowie Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel, der die Schirmherrschaft über das Event hatte, und die Jury-Mitglieder Hilmar Hoffmann, Ex-Präsident des Deutschen Goethe-Instituts, und Wulf Segebrecht, emeritierter Germanistikprofessor der Universität Bamberg. Petra Schachtschabel heißt unsere Superdichterin, unter Tausenden von Bewerbern ausgewählt. Sie ist von Beruf Psychologin, neunundzwanzig Jahre alt und kommt aus Dresden. Die Rechte an ihrem Werk, das den Titel „Abendstern“ trägt, stehen bereits im Internet bei eBay zur Versteigerung. „Fabelhaftes deutsches Gedicht“, wirbt der Versteigerungskatalog, „erstklassig in Takt und Rhythmus, Ausdrucksweise und Eleganz! Saubere Reimform. Originell. Neuwertig.“ Eine Woche lang kann geboten werden. Am Dienstag lag das Gebot bei sage und schreibe dreißig Euro. Und hier die Anfangsverse des Schachtschabelschen Werks: „Max K., der selten Post erhält,/ Ein Brief erreicht, was ihm gefällt./ Schon liest er Wort für Wort behende:/ Familienfest zum Wochenende!/ Die Freude aber ist getrübt,/ Wie stets hat er nichts eingeübt …“ Max K., so geht es nun weiter, übt mit Hilfe einer patenten Freundin das Gedicht „Abendstern“ zum Vortrag ein, aber siehe, beim Familienfest schnappt ihm die Freundin den Erfolg weg, trägt das Opus schnell selber vor, und Max guckt in die Röhre. Geschieht ihm recht. Das Schöne an den aktuellen Kulturereignissen in Deutschland ist, daß man sie gar nicht mehr zu kritisieren oder zu glossieren braucht, sie kritisieren und glossieren sich selber. Die Arbeitsersparnis bei den Medien ist enorm. Bei den „Konsumenten“ von Kultur auch. Sie brauchen nicht mehr zu verdauen.