Mitunter gewinnt man den Eindruck, die Biographien über den Kopf der Verschwörer des 20. Juli 1944 lassen sich kaum noch zählen. Und man fragt sich deshalb, was denn noch Neues über den Grafen Stauffenberg erzählt werden könnte. Der Frankfurter Historiker Werner Bräuninger möchte seine Leser glauben lassen, die weltanschaulichen Prägungen im George-Kreis und die elitäre Idee von der historisch-metaphysischen Bestimmung des „geheimen Deutschland“ seien von der Forschung bislang viel zu wenig beachtet worden. Ein Blick in das zehn Jahre alte, von Bräuninger fleißig benutzte Stauffenberg-Opus des Widerstandshistorikers Peter Hoffmann („Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Brüder“, Stuttgart 1992), fraglos „das“ Standardwerk zum Thema, läßt jedoch erkennen, daß das Feld schon recht eifrig bestellt wurde. Etwas darüber hinaus erfahren wir bei Bräuninger kaum. Seine Originalität beschränkt sich daher, wie man mehr betrübt als hämisch konstatiert, wesentlich auf die Produktion von sachlichen Fehlern und schiefen, zumeist weit hinter dem Forschungsstand zurückbleibenden Deutungen. Verstimmen muß schon, daß Bräuninger nicht einmal das Geburtsdatum Stefan Georges, das er von 1868 auf 1869 verlegt, korrekt angibt. Der Chronist des George-Kreises, den er seinen Zeitgenossen als Zentrum der „deutschen Geistesgeschichte seit 1890“ präsentierte, Friedrich Wolters, der seine Lehrjahre bei dem Nationalökonomen Gustav von Schmoller verbrachte, der über die Agrarpolitik des Ancien régime promovierte und als Wirtschaftshistoriker nach Kiel berufen wurden, mutiert bei Bräuninger zum „Literaturhistoriker“. Mitunter bringt der Autor gleich drei Fehlinformationen in einem kurzen Satz unter: Wer kennt schon ein „Gut Steindorf“ und einen „Grafen Heinrich von Lehndorf“? Gemeint ist natürlich das Schloß Steinort des ostpreußischen Geschlechts der Grafen Lehndorff! Den Mitverschworenen Stauffenbergs, „Fritzi“ Schulenburg, befördert Bräuninger posthum zum „Oberpräsidenten von Ober- und Niederschlesien“ – hier hätte schon ein Blick in die uralte Schulenburg-Biographie von Albert Krebs belehrend gewirkt. Man mag gegen die arg moralinsaure Lebensgeschichte des SS-Justitiars Werner Best, die der Freiburger Zeithistoriker Ulrich Herbert vorgelegt hat, Bedenken tragen, aber sie zu übergehen und statt dessen die eigenen, an analytischer Tiefenschärfe erheblich dahinter zurückbleibenden Betrachtungen vorzutragen, ist kaum verzeihlich. Überhaupt scheint Bräuninger in Sachen George-Forschung in den sechziger Jahren stehengeblieben zu sein. Warum sonst fehlen die Ende der neunziger Jahre publizierten bahnbrechenden Monographien von Rainer Kolk und Carola Groppe? Nicht einmal die weitverbreitete und, trotz dezidiert „linker“ Position des Verfassers, nicht gering zu achtende Untersuchung von Stefan Breuer („Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus“, 1995) scheinen Bräuningers wissenschaftlichen Eros touchiert zu haben. Diese Ignoranz gegenüber dem, was man Prozeß der Forschung nennt, ist in fast jeder Anmerkung zu monieren. Was soll die Zitation einer 1997 veröffentlichten Kompilation des beinharten, nach 1945 nicht mehr in den westdeutschen Universitätsbetrieb zurückgekehrten NS-Historikers Ernst Anrich zur „Deutschen Bewegung“? Dagegen wirken selbst die, dem Autor augenscheinlich unbekannten, vor fast 100 Jahren einsetzenden Bemühungen der Dilthey-Schule (Herman Nohl!) um die Etablierung dieses geistesgeschichtlichen Begriffs noch hochaktuell. Wer kritisch einsteigt und Bräuningers Anmerkungsapparat zerpflückt, muß keineswegs den Vorwurf fürchten, den Autor leichtfertig nur auf einem Randgebiet demontieren zu wollen. Man ist hier vielmehr dort, wo er sich am stärksten fühlt. Und entdeckt allerorten, wie jemand nur „anläßlich“ der Vita Stauffenbergs mitteilen will, was er schon immer zum Verhältnis „geheimes Deutschland“, Drittes Reich und dem „deutschen Führer“ gedacht hat und einmal loswerden möchte – bis hin zu den Abschweifungen über Nationalsozialismus und Okkultismus. Dann entstehen eben auch dort Irritationen, wo man dem Autor zustimmen möchte: Natürlich war Stauffenberg kein „Vorkämpfer der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik“, und man könnte viel gegen solche plumpen Vereinnahmungen durch die westdeutsche Geschichtspolitik vorbringen. Man darf mit guten Gründen auch den Standpunkt vertreten, daß der konservative Widerstand mehr weltanschauliche Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus aufweist als mit dem Radikalliberalismus der Berliner Republik. Aber was soll der raunend-verschwiemelte Hinweis darauf, „Eidgeber und Eidnehmer“, Stauffenberg und Hitler“, seien „im Tode vereint“, weil keine Grabstätte ihre sterblichen Überreste aufgenommen habe? Wie Stauffenberg von den Versen des „Meisters“, also dem „totgesagten park“, schließlich in den Sperrbezirk der Wolfsschanze und vor das Erschießungspeloton im Innenhof des Bendlerblocks geriet, das findet keine bündige Erklärung. Die „Genese des Täters“ Stauffenberg aus dem „Geiste des Geheimen Deutschland“ wird jedenfalls dank dieser fahrigen, der Privatideologie des Verfassers verpflichteten Darstellung eher „verunklart“, und man greift am Ende dankbar wieder zu Peter Hoffmanns Werk. Werner Bräuninger: Claus von Stauffenberg. Die Genese des Täters aus dem Geiste des geheimen Deutschland. Karolinger Verlag, Wien/Leipzig 2002, 208 Seiten, Abbildungen, 24 Euro