Geld macht Politiker bekanntlich sinnlich. Doch bei der Behandlung der jüngsten Steuererhöhungspläne der rotgrünen Koalition im Bundesrat besannen sich die Unionsvertreter eigenartigerweise auf die Fastenzeit und übten Verzicht. Der Versuch von Finanzminister Hans Eichel (SPD), mit rund 40 Steuererhöhungen 15 Milliarden Euro in die Staatskassen umzulenken, mißlang. Die Front der Opposition hielt. Alle bürgerlichen Ministerpräsidenten, selbst die finanziell besonders klammen Müller (Saarland) und Böhmer (Sachsen-Anhalt) verschlossen vor Eichels Sirenenklängen die Ohren. CDU-Chefin Angela Merkel kann sich im Moment sehr stark fühlen, auch wenn ihre Umfragewerte wegen ihrer pro-amerikanischen Haltung im Irak-Krieg in den Keller gerutscht sind. Doch die augenblickliche Stärke der CDU-Chefin hat bayerische Hintergründe. Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hatte in den letzten Wochen die Marschrichtung der Union festgelegt, auch wenn sich der ehemalige Kanzlerkandidat dafür manche Kritik anhören mußte. Stoiber hatte praktisch im Alleingang seinen „Sanierungsplan für Deutschland“ vorgelegt und am 14. März im Bundestag als Antwort auf Kanzler Gerhard Schröders „Agenda 2010“ präsentiert. Das gefiel manchen in den CDU nicht, und auch in Stoibers eigener Partei legte sich dessen Vize Horst Seehofer quer. Allerdings waren einige Botschaften Stoibers so eindeutig, daß sich auch die CDU daran hielt. Dazu gehört in erster Linie die Forderung, keinen Steuererhöhungen zuzustimmen und die geplagten Bürger und Unternehmen vor weiteren Übergriffen des Staates zu schützen. Diese stoiberischen Vorstellungen aus dem Sanierungsplan machte sich die Union zu eigen. Damit wurde beiseite gedrängt, daß Frau Merkel einen unklaren Kurs gefahren war. In der Steuer- und Finanzpolitik hatte sie die Unionsfraktion nicht richtig festgelegt. Bei SPD und Grünen war aus diesem Grunde die Hoffnung gewachsen, die Union könne sich an den Einnahmeverbesserungen beteiligen, zumal auch den Ländern ein Teil der von Eichel geplanten Steuererhöhungen zugute gekommen wäre. Diese Annahme des Regierungslagers erwies sich als Irrtum. CDU und CSU ließen sich bei den Verhandlungen über das „Steuervergünstigungsabbaugesetz“, das in Wirklichkeit aus rund 40 Steuererhöhungen (zum Beispiel höhere Dienstwagenbesteuerung) bestand, nur zu einem kleinen Teil auf den Vorschlag von Rot-Grün ein. Dieser betraf die Körperschaftssteuer. Rot-Grün hatte im Jahre 2000 in einer für eine linke Koalition ungewöhnlichen Verhaltensweise der Großindustrie diese Steuer weitgehend erlassen. Die Folge waren staatliche Steuerverluste in zweistelliger Milliardenhöhe. Die Vorgabe Stoibers lautete, nur solche Steuerkorrekturen mitzumachen, die sinnvoll seien. Und in der Tat war die völlige Freistellung der Großindustrie von der Körperschaftssteuer durch Rot-Grün ein schwerer Fehler und eine der Ursachen, warum Bund und Ländern die Einnahmen wegbrachen. Gegen eine handlungsfähige SPD wäre der Durchmarsch der Union im Bundesrat sicherlich schwieriger geworden. Aber die Sozialdemokraten befinden sich zur Zeit in einer desaströs wirkenden Situation. Die gebrochenen Wahlversprechen zur Bundestagswahl führten zu einer dramatischen Niederlage in Hessen und zum Machtverlust in Niedersachsen. Eichel, früher einer der Stars im Kabinett, kam auch durch den Untersuchungsausschuß Wahlbetrug des Bundestages in schwere See. Vor dem im Volksmund als Lügenausschuß bezeichneten Gremium flüchtete sich der Finanzminister in Unverbindlichkeiten und ließ den Eindruck entstehen, er habe aus politischen Gründen alle Warnungen vor einem Einbruch bei den Steuereinnahmen in den Wind geschlagen. Eichel ist seit seinem Auftritt vor dem Lügenausschuß schwer angeschlagen. Die eigenen Genossen ließen den Finanzminister hängen und einigten sich beim Steuervergünstigungsabbaugesetz mit den Ministerpräsidenten der Union auf eine Lösung zu den Bedingungen der Bürgerlichen. Keine Verständigung innerhalb der SPD Vorbei sind offenbar die Zeiten vom Sommer 2000, wo Schröder und Eichel bei den Verhandlungen über die Steuerreform kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrates wichtige Stimmen aus dem bürgerlichen Lager (zum Beispiel vom damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen) auf ihre Seite zogen und die Steuerreform damit durchsetzten. Aber auch Schröder wirkt irgendwie kraftlos: Die Bundestagswahl gewann er nur mit einem pazifistisch geprägten Wahlkampf und mit Wahlversprechungen, die er kurz danach gleich serienweise brach. Die „Agenda 2010“ brachte trotz ihrer Ankündigung als Aufbruch zu neuen Ufern dem Kanzler nichts weiter als Ärger ein. Schröder muß seinen Genossen jetzt einen Reformparteitag anbieten, damit ihn der Widerstand aus den eigenen Reihen nicht wegspült. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der größten Regierungspartei. Die SPD kann sich nicht einmal auf verhältnismäßig bescheidene Maßnahmen verständigen. Denn eines muß man wissen: Mit der „Privatisierung“ des Krankengeldes und der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes werden die Sozialsysteme nicht gerettet. Zur Überwindung der Rezession und zur Rettung der Sozialsysteme, deren eigentliche Probleme wegen des Rückgangs der Geburtenzahlen erst noch kommen, wären ganz andere Maßnahmen notwendig. So scheint Merkel gewissermaßen im Schlafwagen zur Macht zu reisen und bei jedem Halt eine weitere Landtagswahl zu gewinnen. Doch die eigentlichen Weichensteller, und das wird das Problem der CDU-Vorsitzenden, sitzen im Bundesrat, auf den die Chefin der Bundestagsfraktion nur in bescheidenem Maße einwirken kann. Die Vorfestlegungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und dessen nordrhein-westfälischen SPD-Kollegen Peer Steinbrück auf ein Paket, das noch ein ganzes Stück über die Kompromißlinie bei der Körperschaftssteuer hinausging, zeigen die Risiken, denen Merkel unterliegt. Koch wollte nur die Reaktionen der Parteivorsitzenden und ihre Fähigkeiten, die Union auf Linie zu bringen, testen. Er mußte feststellen, daß sich besonders Stoiber in die Bresche warf. Der Bayer hat eine Landtagswahl im September zu bestehen und kann Steuererhöhungen nicht gebrauchen. Also sicherte er Merkels Linie ab. Aber seitdem weiß man auch, daß die Welt der Union eher eine bipolare ist. Ein völliger Blockadekurs im Bundesrat ist so nicht durchzuhalten. Das kann die Union erst, wenn ihre Führungsfrage geklärt ist. Sobald das der Fall ist, dürfte das Ende der rot-grünen Koalition nahe sein.
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