PDS-Politiker wie der Berliner Landesvorsitzende Stefan Liebich sprechen von einer Existenzkrise ihrer Partei, die scheidende Bundesvorsitzende Gabi Zimmer räumt ein, man habe den Kontakt zur Gesellschaft verloren, und für Lothar Bisky, den alten und neuen Vorsitzenden, beginnt die Demontage durch die eigenen Genossen, die ihm Führungsschwäche vorwerfen, schon bevor er sein Amt angetreten hat. Sogar Gregor Gysi weiß keinen Rat. Halb zieht es ihn zurück ins Rampenlicht der Politik, halb fürchtet er sich davor. Seine und Biskys Remobilisierung, ließ er in ungewohnter Bescheidenheit verlauten, wäre für die PDS ein Schritt nach vorn, aber auch zwei Schritte zurück. Am schlimmsten für die PDS ist, daß kaum einer mehr hinguckt, wenn sie ihre Pirouetten dreht. Ihr Charme als Skandalnudel unter den deutschen Parteien hat sich verbraucht. Das mediale Erfolgsrezept: hier ein Scherzchen, dort ein Witzchen, überzuckert mit einem wissenden Lächeln – welches besagte: Man würde schon, wenn man nur dürfte! – hat sich mit Gysis Scheitern als Berliner Wirtschaftssenator erschöpft. Endlich durfte die PDS, und siehe da, sie konnte nicht! Die Übernahme von Regierungsverantwortung in zwei Bundesländern hat diese nicht nach vorn gebracht, doch die Partei verschlissen. In Mecklenburg-Vorpommern wird der PDS-Arbeitsminister Helmut Holter von demonstrierenden Arbeitslosen ausgepfiffen – früher hatte die Partei ihre Protestzüge angeführt. Wenn es aber konkret wird, verfallen die PDS-Genossen nur auf alte Rezepte, mit denen bereits die SPD-Traditionalisten gescheitert sind. Noch schwerer wiegt ihr Versagen in Berlin. Mit dem rot-roten Senat ist keine neue Oktoberrevolution ausgebrochen. Die Landespolitik, die unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mausgrau war, hat sich bloß aschgrau verfärbt. Hinzu kommt: Was immer man von Kanzler Schröder halten mag, er hat der PDS im Osten die Schau gestohlen. Sein Kurs gegen den Irak-Krieg ließ ihr keine Chance, sich als Friedenspartei zu profilieren. Und mit seiner Allgegenwärtigkeit beim Hochwasser im vergangenen Sommer hat er ihr das Monopol als geborene Interessenvertretung des Ostens streitig gemacht. Den Verlust an öffentlicher Präsenz durch das Ausscheiden aus dem Bundestag konnte der blasse und zerstrittene Bundesvorstand nicht einmal ansatzweise ausgleichen. Die Ausdehnung in den Westen ist mißlungen, bloß exzentrische Existenzen wie der zwielichtige Frankfurter Musikimpresario Dieter Dehm oder die Antifa-Knallcharge Ulla Jelpke konnten gewonnen werden. Man spricht von der Überalterung der Partei, was ein sehr milder Ausdruck für die tatsächliche Lage ist. Die Mitgliederzahl nimmt rasant ab. 1998 waren es 94.620, im Jahr 2001 nur noch 77.845 Mitglieder. Bei diesem Trend dürfte die aktuelle Zahl bei knapp über 70.000 liegen. Davon sind mehr als drei Viertel älter als 65 Jahre. Das heißt, die Partei rekrutiert sich zum überwältigenden Teil aus dem Altbestand der SED. Diese Mitgliedschaft aber nimmt, was seit 1989 politisch passiert ist, nur als Abstieg und Zerfall wahr. Zukunft läßt sich mit ihr nicht gewinnen. Um das Maß der Demoralisierung zu erfassen, ist ebenfalls zu beachten: 1989 zählte die SED rund 2,3 Millionen Mitglieder, 13 Prozent der DDR-Bevölkerung. Die Mitgliedschaft war straff durchorganisiert bis in die Betriebe hinein, wo hauptamtliche Parteisekretäre die Betriebsparteiorganisationen (BPOs) leiteten. Die meisten PDS-Mitglieder waren damals die überzeugtesten SED-Genossen, und die Tatsache, einer so gewaltigen Partei anzugehören, war Teil ihres Selbstverständnisses. 1990 war die Zahl bereits auf unter 200.000 abgesunken, und heute beträgt sie nur noch 3 Prozent des SED-Bestandes. Der Zerfall wirkt sich dort am dramatischsten aus, wo die Partei bisher am stärksten war – an der Basis. Um das an einem Rechenbeispiel zu statuieren: Angenommen, es gab 1989 in einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern etwa 1.000 SED-Mitglieder, so ist diese Zahl heute auf 30 gesunken. Veranschlagt man noch den Bevölkerungsrückgang, der im kleinstädtisch-ländlichen Raum außerordentlich ist, mit 20 Prozent, dann sind es nur noch 24 Mitglieder, von denen die allermeisten 65 Jahre und älter sind. Zu aktiver Basisarbeit, Wahlkämpfen und Kandidatenvorschlägen ist dieser Mitgliederstamm kaum noch in der Lage. Die PDS war für die SPD der nützliche Idiot So haftet der PDS mehr und mehr der Ruch des historischen Verlierers an. Von den jüngeren Kommunalpolitikern, die 1990 aus Idealismus in ihren Reihen geblieben (bzw. erst eingetreten) sind und die sich seitdem allgemein Respekt verschafft haben, wollen viele ihre Karriere nicht länger an die sterbende Partei koppeln. Sie wechseln zur SPD über. Um so größer sind Desorientierung und Verzweiflung bei den Hinterbliebenen. Es wächst keine Sachkompetenz mehr nach. Daß die PDS zur „Agenda 2010“ bisher geschwiegen hat, war nicht nur ein Regiefehler des Bundesvorstands, sondern auch Ausdruck ihrer fehlenden Sachkompetenz. Es muß nicht noch extra nachgewiesen und beschrieben werden, daß der temporäre Erfolg der PDS die politische Emanzipation der Ex-DDR-Bürger mehr verhindert als befördert und die dekadente Grundstimmung in der Gesellschaft bundesweit verstärkt hat. Im übrigen aber war die PDS für alle Beteiligten bequem. Zuerst diente sie der Union als Schreckgespenst, mit dem sie die SPD – Stichwort: „Rote Socken“ – in Schach hielt. Dann drehte die SPD den Spieß um und sicherte sich mit der PDS als Koalitionspartner in den Nordostländern eine strukturelle Mehrheit. In beiden Fällen war die PDS kaum mehr als der sprichwörtliche nützliche Idiot. Sie war kalkulierbar und genauso etatistisch und sozialstaatlich wie die anderen Parteien auch. Außerdem kamen wegen des internationalistischen Ausgangspunkt ihrer Programmatik die in ihrer Wählerschaft vorhandenen nationalen Tendenzen nicht zum Zuge. Intern erweist sie sich als ein Pendant zum Bund der Vertriebenen, als Heimatstube und Trostgemeinschaft. Für viele PDS-Wähler war und ist aufgrund ihrer lebensgeschichtlichen Prägungen gar keine andere Partei vorstellbar. Die Aufdrängung westlicher Terminologien und Strukturen nach 1989, die selber oft dumm oder anachronistisch waren, ohne daß man auf die Schnelle die entsprechenden Gegenargumente parat hatte, wurde als Demütigung empfunden, vor der man sich trotzig in die Wagenburg der Partei zurückzog. Der PDS sind ihre Themen abhanden gekommen Fürsorglich war die Partei auch in ganz praktischer Hinsicht. Aus den unterschiedlichen Entwicklungen nach 1945 ergaben sich naturgemäß nach 1989 unterschiedliche Interessenlagen, die sich nicht auf Konflikte mit den „alten Kadern“ und „Seilschaften“ reduzieren lassen (die es im Westen genauso gibt). Die Publizistin Daniela Dahn hat das in ihrem Buch „Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten?“ eindringlich dargestellt. Es gab beispielsweise auch in der Ex-DDR Alteigentümer, die durch den Einigungsvertrag in Schwierigkeiten gerieten. Plötzlich sollten sie drastische Umlagen für Erschließungsarbeiten oder Abgaben für die Wertsteigerung ihrer Immobilien entrichten, weil diese sich über Nacht in einem neu deklarierten „Entwicklungsgebiet“ befanden, ohne daß sie „die Bonität, die man bei einem Hausbesitzer im Westen selbstverständlich voraussetzt“, aufbringen konnten. Woran sich bei Dahn die Frage anschließt: „Können Langzeitarbeitslose Hauseigentümer bleiben?“ An welche Partei, außer der PDS, konnten diese Langzeitarbeitslosen sich spontan wenden? Inzwischen sind viele dieser Fehler korrigiert und der PDS ihre spezifischen Themen abhanden gekommen. Überhaupt hat die Ost-Kompetenz in dem Maße an Bedeutung verloren, wie das Land als ganzes in die Krise geraten ist. Die Leute spüren, daß auch die PDS auf diese Situation, in der man nicht mehr nach höheren Transferleistungen aus dem Westen rufen kann, keine Antwort weiß. Fast wird sie als Altpartei wahrgenommen, etabliert, selbstsüchtig und ratlos wie die anderen auch. Es ist merkwürdig zu sehen, wie jetzt bürgerliche Zeitungen sich den Kopf darüber zerbrechen, wie der PDS zu helfen ist. Die Furcht vor einem Domino-Effekt, vor einer tektonischen Verschiebung der Parteienlandschaft der neuen Länder geht um. Eine solche Verschiebung aber wäre der einzige Gefallen, den die Partei dem Land noch tun kann.
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