Die westlichen Gesellschaften, so bemerkte ein scharfsinni-ger Beobachter seiner one issue societies, könnten sich nur jeweils mit einem Thema befassen, das en vogue sei. Eine Zeitlang waren das die afghanischen Taliban, dann war es Osama bin Laden, neuerdings wieder Saddam Hussein. Alles andere, das gestern noch wichtig schien, wird verdrängt. Es ist noch nicht lang her, da waren die Zeitungen voll von Meldungen aus Bosnien. Jetzt herrscht über den Balkan Schweigen, zumindest was westliche Medien betrifft. Das hängt auch damit zusammen, daß westlichen Sozialingenieuren – die auf dem Wege des nation building in Südosteuropa neue Nationen mit einem neuen politisch korrekten Bewußtsein konstruieren wollten – die Ernte gründlich verhagelt wurde. So war der inzwischen vom Balkan wieder in die Wiener Diplomatie heimgekehrte Wolfgang Petritsch fest entschlossen, den „Nationalisten“ in Bosnien endgültig das Handwerk zu legen: wenn es sein mußte, auch mit Gewalt. Mit Hilfe des SPÖ-Politikers wurden demokratisch gewählte Abgeordnete mit Berufsverboten belegt (wegen ungenügendem „Respekt“ vor dem Dayton-Abkommen). Es wurde auch eine Bank von Sfor-Einheiten überfallen und durchsucht (JF 18/01), weil man dort Geldwäsche vermutete (was sich bis jetzt nicht bestätigte). Am Ende wurde für Bosnien-Herzegowina eine Regierung aus Politikern gebildet, die keinerlei Rückhalt bei Moslems, Serben und Kroaten hatte. Die eifrige Arbeit der westlichen Sozialingenieure endete mit einem Fiasko: die drei Volksgruppen wählten die vom Westen favorisierten antinationalen Parteien ab und installierten erneut die drei „nationalen“ Parteien: die Moslem-Partei SDA im moslemischen, die Serbische Demokratische Partei (SDS) in der Republik Srpska – und die Kroatische Demokratische Union (HDZ) bei den Kroaten. Die „kostümierten“ Genossen aus der kommunistischen Nachfolgepartei SDP – die groteskerweise das besondere Vertrauen des Westens genossen, erlitten nicht nur eine schwere Niederlage: die a-nationale SDP begann sich zu spalten. Während ihrer Regierungszeit unter Parteichef Zlatko Lagumdzija und Ministerpräsident Alija Behmen rutschte das Bruttosozialprodukt des krisengeschüttelten Landes weiter ab und stieg die Arbeitslosigkeit dramatisch an. Machttrunken und bestärkt durch die Unterstützung des Westens wollten die postkommunistischen Genossen die Tatsachen nicht akzeptieren. Als die Katastrophe eintrat, gab es eine Austrittswelle prominenter SDP-Funktionäre. Der bisherige Generalsekretär Sead Avdic warf das Handtuch und schleuderte Parteichef Lagumdzija im Dezember auf dem Parteitag entgegen: „Du, Zlatko, hast den Machiavellismus auf die Spitze getrieben!“ Und einer der Parteigründer, der bosnische Altkommunist Nijaz Dizdarevic, rief dem bisherigen SDP-Ministerpräsidenten zu: „Schande über dich, Alija Behmen. Ich trete unwiderruflich aus der SDP aus … Ihr werdet die Partei in den Selbstmord treiben!“ Während eine neue Koalition der drei Nationalparteien in Sarajevo mit der Arbeit beginnt, sind dem Westen ihre Lieblingskommunisten als Exekutoren abhanden gekommen. Der neue „Hohe Repräsentant“ des Westens, der britische Liberaldemokrat Paddy Ashdown, erklärte inzwischen, man könne den als Kriegsverbrecher gesuchten bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic nicht verhaften lassen, solange dieser bei der (serbischen) Bevölkerung so beliebt sei. Das allein klingt nach einer Bankrotterklärung.