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Das Pendel schlug nach links zurück

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Wallasch, Medien, Gesicht

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in den Niederlanden haben sich letzte Woche die Christ-demokraten (CDA) von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende als stärkste Kraft behaupten können. Der CDA erhielt mit 28,6 Prozent der Stimmen 44 Mandate im 150köpfigen Parlament. Mit 27,3 Prozent (42 Sitze) wurde die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA) zweitstärkste Kraft. Schwere Verluste mußte die Liste Pim Fortuyn hinnehmen: Im Mai 2002 mit 17 Prozent noch zweitstärkste Kraft und dann für drei Monate Regierungspartei, verlor die LPF mit 5,7 Prozent 18 ihrer 26 Mandate und verfügt künftig nur noch über acht Sitze in der Zweiten Kammer. Die PvdA konnte mit einem Zuwachs von 12,2 Prozent (19 Sitze mehr) die größten Gewinne verbuchen. Unter Führung ihres neuen Spitzenkandidaten Wouter Bos, der erst im Dezember diesen Posten übernahm, gelang es den Sozialdemokraten, innerhalb weniger Wochen 19 Sitze zurückzuerobern, die sie bei der Wahl vorigen Jahres verloren hatten. In den letzten Tagen vor der Wahl zeichnete sich sogar ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PvdA und CDA ab. „Unter Wouter Bos hat die PvdA eine Auferstehung erlebt, die vor einem Monat noch niemand für möglich gehalten hat“, schrieb die Amsterdamer Volkskrant. Der 39jährige telegene „Frauenschwarm“ Bos gehört dem Parlament in Den Haag seit 1998 an und war von 2000 bis 2002 in der Mitte-Links-Regierung von Wim Kok (PvdA) Staatssekretär im Finanzministerium. Seinen großen Stimmenzuwachs errang Bos vor allem, indem er geschickt den „Sozialabbau“ und „Neoliberalismus“ der Regierungskoalition anprangerte und klare sozialpopulistische Aussagen im Lafontaine-Stil machte („Wer mehr verdient, soll mehr zahlen“). Aber auch durch eine – zumindest verbal – härtere Gangart in der Einwanderungs- und Integrationspolitik ist es dem Ex-Shell-Manager gelungen, das Vertrauen abtrünniger PvdA-Wähler, die aus Protest zur LPF übergewechselt waren, zurückzugewinnen. Enttäuschung machte sich bei der rechtsliberalen VVD breit. Die Partei gewann mit 17,9 Prozent nur vier Mandate hinzu, und damit weit weniger als erhofft. Mit ihren 28 Sitzen kann die VVD nicht die angestrebte Koalition mit dem CDA bilden und in einem Zweierbündnis – auf der Grundlage der bisherigen Koalitionsvereinbarung – die Regierungsarbeit fortsetzen. LPF-Chef Mat Herben versuchte, die schweren Verluste seiner Partei zu relativieren. Er wies darauf hin, daß seine Partei sich in den letzten Wochen vor der Wahl von zwei (laut Prognosen) wieder auf acht Sitze aufrappeln konnte. Andere Parteien hätten viele „typische“ LPF-Standpunkte im Wahlkampf übernommen, erklärte Herben. Er zweifle aber daran, ob vor allem die PvdA den angekündigten härteren Kurs gegenüber den „Multikulturalisten“ aus den eigenen Reihen nach der Wahl durchsetzen könne (siehe auch JF-Porträt Seite 3). Ihren sensationellen Wahlerfolg verdankte die LPF vor allem ihrem ermordeten Parteigründer Pim Fortuyn, der versprach, die ungezügelte Einwanderung einzudämmen und die Kriminalität in den Großstädten effektiver zu bekämpfen. Die junge, hastig kurz vor der Wahl am 6. Mai 2002 zusammengekommene Partei, die lange Zeit noch nicht einmal über eine feste Organisationsstruktur verfügte, erwies sich nach der Ermordung Pim Fortuyns aber häufig als zerstrittener Haufen von Einzelgängern, Glücksrittern und Politamateuren. Mehrmals wurde der Vorsitzende ausgewechselt. Ein Dauerstreit zwischen zwei LPF-Ministern – und die von Umfragen genährte Hoffnung auf Stimmenzuwachs bei CDA und VVD – führte schließlich zum Zerfall des CDA-LPF-VVD-Kabinetts. Den Unterschied zwischen Umfragehoch und Medienpräsenz einerseits und Wahlergebnis andererseits mußte auch die Sozialistische Partei (SP) erfahren. Die SP des mediengewandten Jan Marijnissen (dem „holländischen Gregor Gysi“, siehe JF 51/02) legte im Sog der PvdA-Erholung nur gering auf 6,3 Prozent zu und bleibt bei neun Sitzen. Die Grünen verlieren sogar zwei und kommen auf acht Sitze (5,1 Prozent), und die linksliberale Partei D’66 fällt von sieben auf sechs Mandate zurück (4,1 Prozent). Die beiden christlichen Traditionsparteien CU und SGP verloren weiter an Zustimmung, die in den Kommunalvertretungen erfolgreiche Bürgerbewegung „Leefbaar Nederland“ („Wohnliche Niederlande“/LN), aus der Pim Fortuyn vor einem Jahr wegen einwandererkritischer Äußerungen ausgeschlossen worden war, flog mit 0,4 Prozent aus dem Parlament. Die neun neuen Parteien gingen alle leer aus. Auch die „Tierpartei“ (PvdD), die in der niederländischen Politik für den Tierschutz eintritt, verfehlte mit gut 50.000 Stimmen nur knapp ein Mandat. In den ersten großen Debatten zwischen den Spitzenkandidaten der größten Parteien dominierten Themen wie innere Sicherheit und Ausländerpolitik, wobei eine Verhärtung der Standpunkte auch der linken Parteien zu beobachten war. In den letzten Tagen rückten die Sozial- und Finanzpolitik in den Vordergrund, wobei sich zwischen CDA und VVD einerseits und den linken Parteien andererseits große Differenzen in bezug auf den geplanten Regierungshaushalt aufzeigten. Auf Premier Balkenende kommen nun schwierige Verhandlungen zu, da die geplante CDA-VVD-Koalition mit 72 Mandaten keine Mehrheit (ab 76) erreicht hat. Vieles deutet darauf hin, daß nach der Parlamentswahl eine Koalition aus CDA und PvdA das Land regieren wird. Doch zwischen Christ- und Sozialdemokraten gibt es speziell in bezug auf die künftige Finanzpolitik nur wenig Übereinstimmung. Bos hatte sich im Wahlkampf gegen die von Balkenende auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage vorgenommenen Einsparungen im Sozialbereich ausgesprochen. In den letzten Wochen hat Balkenende immer wieder betont, die Sozialdemokraten seien noch nicht reif für eine Regierungsbeteiligung. Königin Beatrix hat inzwischen mit den Vertretern der Parteien und mit ihren eigenen Beratern besprochen. Sie hat Justizminister Jan Hein Donner (CDA) beauftragt, Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung zu führen. Erst danach gibt sie einem Politiker den Auftrag, die künftige Koalition zu bilden. Während Balkenende letzte Woche noch ein erneutes Zusammengehen mit der LPF ausschloß, wird bei der VVD erwogen, doch wieder auf die LPF zuzugehen. Allerdings müsse zuerst geklärt werden, ob eine Zusammenarbeit zwischen CDA und PvdA möglich sei, erklärte VVD-Fraktionschef Gerrit Zalm. Als dritter im Bunde käme neben der LPF auch die Demokraten’66 in Frage. Aber auch ein Zusammengehen mit den Linksliberalen (die bis 2002 eine „violette Koalition“ mit PvdA und VVD bildeten) ist unwahrscheinlich: Thom de Graaf, der nach der Wahlschlappe als D’66-Fraktionsvorsitzender zurückgetreten war, hat erklärt, seine Partei stehe dafür nicht zur Verfügung. Nur eines ist sicher: Eine Linkskoalition ist trotz der PvdA-Gewinne nicht möglich – der Mitte-Rechts-Block hat mit fast 53 Prozent und 80 Sitzen eine geschrumpfte (2002: 60 Prozent/93 Sitze), aber solide Mehrheit.

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