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Ungarische Vergangenheitsdebatte Carl Gustaf Ströhm

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In Ungarn, wo der Ministerpräsident Péter Medgyessy zugeben mußte, als Oberleutnant für die kommunistische Staatssicherheit gearbeitet zu haben, ist die rote Vergangenheit eine ambivalente Angelegenheit, die weit in die heutige Tagespolitik, ja neuerdings bis ins literarische Leben hineinreicht. Unlängst stellte ein Abgeordneter des linksliberalen SZDSZ (der mit den Sozialisten die Regierungskoalition bildet) den Antrag, die Subventionen für das Budapester Terror Háza um 50 Prozent zu kürzen. Das „Haus des Terrors“ wurde vergangenes Jahr als Museum der Greueltaten des „rechten“ Pfeilkreuzler- und des folgenden „linken“ KP-Regimes im Ex-Hauptquartier der jeweiligen Terrorapparate unter der Mitte-Rechts-Regierung von Viktor Orbán eingerichtet ( https://www2.terrorhaza.hu ). Den jetzt regierenden Linken war die „naturgetreue“ Darstellung und Gleichsetzung kommunistischer Foltermethoden nie ganz geheuer. Aber der besagte Abgeordnete und Ex-SZDSZ-Chef Iván Petö hatte einen handfesten persönlichen Grund, das Haus in der Andrássy út 60 finanziell lahmzulegen: Sein Vater, einstmals hoher KP-Funktionär, wird dort mit Photographie als einer der Träger des roten Terrorsystems dargestellt. Es gibt aber noch subtilere Vorfälle aus realsozialistischer Zeit. Péter Esterházy, gilt nicht nur als einer der bedeutendsten ungarischen Schriftsteller, sondern er ist zugleich Sproß des gleichnamigen Fürstengeschlechts, das über Jahrhunderte die Geschicke des Landes entscheidend mitbestimmte – und sogar Joseph Haydn als Kapellmeister beschäftigt hat. Nun hat Esterházy in seinem Roman „Harmonia Caelestis“ die Geschichte seines Geschlechts beschrieben – bis in die Zeit, als die Esterházys enteignet und verarmt in der ungarischen Volksrepublik ihr Leben fristen mußten. Im Mittelpunkt des Buches steht der Vater, Fürst Mátyás Esterházy, den der Sohn liebte und bewunderte. Erst nach Drucklegung erfuhr Péter Esterházy, daß sein Vater zwanzig Jahre lang Zuträger der kommunistischen Geheimpolizei war. Der Fürst bespitzelte seine Freunde, seine engere und weitere Familie und seine aristokratischen Standesgenossen. Nun hat der Sohn, nach Einsicht in die Geheimdienstakten, ein weiteres Buch veröffentlicht, das zum Verkaufsschlager wurde: „Javított kiadás“ (Die korrigierte Ausgabe). Es ging dem nachgeborenen Esterházy nicht darum, den Vater zu verdammen oder zu rechtfertigen. Seine Liebe zum Vater bleibt auch nach dieser schrecklichen Entdeckung ungebrochen. Aber der Schriftsteller bricht das Schweigen über eines der dunkelsten Kapitel des postkommunistischen Raums. Die Kommunisten hatten überall in ihrem Machtbereich Furcht und Terror installiert. Angeblich sollen etwa drei Prozent der Bevölkerung direkt mit der jeweiligen „Stasi“ zusammengearbeitet haben. Über alles und jedes wurden Spitzelberichte verfaßt – und viele Existenzen zerstört. Kein Bereich des Lebens wurde ausgespart, das Spitzelunwesen war ein entscheidender Bestandteil des diktatorischen Systems. Vielleicht wurde Fürst Mátyás unter Druck gesetzt und bedroht, vielleicht hat man ihn moralisch gebrochen – so wie jenen in Ehren ergrauten Feldmarschalleutnant der ungarischen Armee, der beim Verhör gezwungen wurde, den Inhalt eines Spucknapfs auszutrinken. Es heißt, daß neun Minister und Staatssekretäre der Regierungen nach 1989 einst Spitzeldienste geleistet haben. Péter Esterházy hat die Ehre seiner Familie und seines Landes gerettet, indem er den Finger auf eine offene Wunde legte.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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