Der Name täuscht: Die „Arbeiterwohlfahrt“ ist schon lange nicht mehr allein dem Wohl der Arbeiterschaft verpflichtet. Die allumfassende sozialpädagogische Betreuung anderer Gesellschaftsgruppen scheint offenbar ein weitaus lukrativeres Geschäftsfeld zu sein. Im Sozialbericht 2002 „Die Einwanderungsgesellschaft – Forderungen an das Jahrzehnt der Integra-tion“ präsentiert sich der altehrwürdige Sozialverband als knallharter Zuwanderungslobbyist, der für sich die Lizenz zur allgegenwärtigen Einmischung auf allen Ebenen in Anspruch nimmt. Die „Gesellschaft“ ist an allem schuld, der Erfolglose kann nichts dafür, wenn er’s nicht kann – unter diesem Uralt-Dogma linker Weltverbesserer umwirbt die „Arbeiterwohlfahrt“, die heute das Kürzel „AWO“ bevorzugt, die wachsende Ausländerklientel in Deutschland. Zuwanderer, im paternalistischen PC-Jargon meist „Migrantinnen und Migranten“ genannt, müßten endlich integriert werden. Daß dies bisher offenkundig nicht gelungen ist, liegt selbstverständlich nicht in der Veranwortung der Zuwanderer selbst, sondern erklärt sich allein aus Fehlern und Versäumnissen von Staat und Gesellschaft sowie „strukturellen Diskriminierungen“ in einem „Einwanderungsland, das keins sein will“. Mit simpler Nonchalance soziale Realitäten ignoriert Bei der AWO weiß man es natürlich besser. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ heißt das ceterum censeo, das sich durch den ganzen Bericht zieht. „Migration“, so die unausgesprochene Grundannahme, ist grundsätzlich etwas Positives. Selbst die Kenntnis krassester Fehlentwicklungen bringt den Sozialverband nicht ins Zweifeln. Seit dem Gastarbeiter-Anwerbestopp 1973 ist Familienzusammenführung bis heute ein Haupteinwanderungsgrund, weiß man auch bei der AWO. Trotz Anwerbestopp habe sich die ausländische Wohnbevölkerung seither von 4 Millionen (1973) auf 7,3 Millionen (1999) fast verdoppelt, während im selben Zeitraum die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer von 2,15 Millionen auf 2,0 Millionen noch abgenommen habe. Zuwanderung also in die Sozialsysteme und nicht auf den Arbeitsmarkt, der offenbar keinen Bedarf hatte. Als Konsequenz fordern die AWO-Sozialstrategen nicht etwa eine Ausrichtung der Zuwanderungspolitik an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, sondern „migrationsspezifische“ Qualifizierungsmaßnahmen. Keine einfache Aufgabe – 78,3 Prozent der arbeitslos gemeldeten Ausländer sind ohne abgeschlossene Berufsausbildung (bei den Deutschen sind es halb so viele), die Ungelerntenquote bei türkischen Jugendlichen ist mit 40 Prozent fünfmal so hoch wie bei gleichaltrigen Deutschen, die Arbeitslosenquote der hier lebenden Türken hat sich von 1979 bis 2000 von 4,2 auf 20,2 Prozent verfünffacht. Den Autoren des AWO-Berichts ist das bewußt, sie zitieren die entsprechenden Zahlen. Aber die Schuld sucht man nicht bei mangelndem Integrations- oder Leistungswillen seitens der betroffenen Zuwanderer, sondern wiederum ausschließlich in der „strukturellen Benachteiligung“ von Ausländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Doch wie soll man Menschen aus- und weiterbilden, die keinen erkennbaren Ehrgeiz zeigen, die Sprache des Landes zu erlernen, in dem sie leben? Die AWO-Philosophie treibt bei der Interpretation dieses Phänomens kuriose Blüten. In der Schullaufbahn und sogar schon im Kindergarten würden Ausländerkinder „institutionell diskriminiert“, weil bei allen Entscheidungen „Sprachdefizite (…) als wichtiger Faktor in die Auswahl mit einbezogen“ würden, moniert die Studie. Damit die Kinder überhaupt Deutsch lernten, müsse erst einmal ihre Herkunftssprache gefördert werden, lautet die kühne These: „Eine der Hauptursachen für das Versagen des Bildungssystems ist die Vernachlässigung und Mißachtung der Herkunftssprache der Kinder und Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund.“ Die AWO-Abhilfe: „interkulturelles Lernen in allen Bildungsbereichen“, mehr „Lehrende mit Migrationshintergrund“, und natürlich „verstärkte Förderung von Mehrsprachigkeit“. Der „multiethnische Dialog in den Lehrkollegien“ mag dadurch gefördert werden – aber läßt sich so auch Spitzenbildung in einer Industriegesellschaft vermitteln? Der AWO-Bericht wischt die Befunde der Pisa-Studie glatt vom Tisch: Nicht die Sprachprobleme ausländischer Schüler seien das Problem, sondern die falsche „Homogenitätserwartung“. Mit ähnlich simpler Nonchalance geht der „Sozialbericht“ das Problem der illegalen Einwanderung an. Auch der unberechtigt im Land lebende Ausländer soll in den vollen Genuß der Fürsorge kommen: Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung für diesen Personenkreis müsse endlich „auf politischer Ebene geklärt“ werden, fordern die AWO-Strategen. Damit Migranten in der medizinischen Versorgung nicht länger „benachteiligt“ würden, seien mehr Dolmetscher und Mehrsprachige auch im Gesundheitswesen notwendig. Wo das Geld dafür herkommen soll im chronisch kranken Gesundheitssystem, sagt uns die Studie nicht. Dafür preist sie ein Modellprojekt „interkulturelle Öffnung“ der AWO Berlin, in dem unter anderen eine Materialien-Mappe zum Thema „Gesundheit und Ernährung“ in drei Sprachen erstellt worden sei. Integration ist für die AWO in erster Linie „Integration von Migrantinnen und Migranten in das System der Sozialen Dienste“. Diese treibt die „Arbeiterwohlfahrt“ freilich nicht aus purer Menschenfreundlichkeit so entschlossen voran. Schon im Grundsatzprogramm von 1998 wird das ideologische Motiv formuliert, „interkulturelle Öffnung als wichtigen Beitrag zur Gestaltung des unumkehrbaren Einwanderungsprozesses“ zu verstehen. Dabei geht es um handfeste Eigeninteressen. Durch die „bewußte Aufnahme interkultureller Aspekte in Konzeptionen und Leitbilder“ will die AWO ihre Einrichtungen für Zuwanderer öffnen, um „Zuwanderer als Klienten zu gewinnen“. Daß die AWO als „Anwalt der Migrantinnen und Migranten“ erreichen will, daß „die Belange von Einwanderern bei allen gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen und Prozessen von vornherein und regelmäßig berücksichtigt und zum zentralen Bestandteil gemacht werden“, ist also kein Selbstzweck. In dem Maße, wie dieses Ziel verwirklicht wird, darf eine entsprechend positionierte Organisation nämlich auf reichhaltige Auftragszuteilungen aus den Fleischtöpfen der öffentlichen Hände hoffen. Wo der Staat „versagt“, springt die AWO gerne ein – gegen gutes Geld. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Immigration interessieren einen Zuwanderungslobbyisten nicht, der davon profitieren will. Die zahlreichen zitierten gemeinsamen Projekte mit staatlichen Stellen sind daher ebensowenig Zufall wie die Förderung der Sozialstudie durch das Bundesinnenministerium und die durchgängige Berufung auf Berichte der Bundesausländerbeauftragten für die Untermauerung der eigenen Vision. Migrationserfahrung als Qualifikationsmerkmal Für die Umsetzung dieses Szenarios angewandter rot-grüner Ausländerpolitik ist die AWO auch gerne zum weitgehenden Austausch bzw. Umerziehen ihrer Mitarbeiterschaft bereit. „Migrationserfahrung, Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz“ sind für eine Bewerbung bei der AWO künftig „Qualifikationsmerkmale“; wer da als Deutscher eine Chance haben will, muß sich schon „interkulturell qualifizieren“ lassen; in jedem Fall bekommt er „Möglichkeiten der Selbstreflexion“. Von einem traditionsreichen Sozialverband der deutschen Arbeiterbewegung, der 1919 als Teil der SPD gegründet worden war, bleibt bei diesem Experiment nur noch der Name übrig. AWO Bundesverband e.V. (Hrsg.): „Sozialbericht 2002. Die Einwanderungsgesellschaft – Forderungen an das Jahrzehnt der Integration“, AWO: Bonn 2002, 98 Seiten, broschiert. Bezug: AWO Bundesverband e.V., Postfach 410163, 53023 Bonn, Tel. 02 28 / 66 85-0, E-Post: verlag@awobu.awo.org
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