Das ganze Jahr über schlagen wir uns mit Alltagsfragen, wirtschaftlichen und politischen Problemen herum. Weihnachten ist dagegen traditionell auch eine Zeit der Besinnung, oder sollte es zumindest sein: Wo kommen wir her, was hat unser Leben für einen Sinn, gibt es wirklich einen Gott? Das sind Fragen, die sich wohl jeder schon einmal gestellt hat, sei er Wissenschaftler, Journalist, Politiker oder ganz normaler Bürger. Und je älter wir werden, desto mehr rücken sie in den Vordergrund, denn unser Leben ist nun mal begrenzt.
Die christliche Botschaft gibt darauf eine klare Antwort: Ein liebevoller Gott hat uns nicht nur erschaffen, sondern wacht auch täglich über uns. Weihnachten feiern wir die Geburt von Jesus Christus, seinem Sohn, der vor 2.025 Jahren auf die Erde kam, um uns zu erlösen.
Die Zahl der Konfessionslosen steigt
Andere Religionen geben andere Antworten, und eine wachsende Zahl von Menschen glaubt gar nicht mehr, zumindest in Westeuropa. Der Anteil der Konfessionslosen in Deutschland liegt inzwischen bei 47 Prozent, und jedes Jahr treten weitere Hunderttausende aus den Kirchen aus. Das liegt zwar hauptsächlich an den Mißbrauchsskandalen und der zunehmenden Politisierung der Kirchen. Manche wollen vielleicht nur die Kirchensteuer sparen. Aber unverkennbar hat auch der christliche Glaube selbst gelitten, während zugleich die mittelalterlich geprägte Religion des Islam an Bedeutung gewinnt.
Was kann man als aufgeklärter und humanitär geprägter Mensch diesen Tendenzen entgegensetzen? Wie diskutiert man zum Beispiel mit einem überzeugten Moslem, wenn man an die traditionellen Erzählungen der christlichen Kirchen selbst nicht mehr glaubt? Können Naturwissenschaften und abendländische Philosophie hier helfen?
Woher kommen wir?
Nehmen wir zum Beispiel die Frage nach dem Ursprung der Welt. Physiker beantworten sie meist mit dem Urknall, aber der Laie fragt sofort: Wo kam der her, und was war davor? Religiöse Menschen verweisen dann auf Gott, aber die gleichen Fragen kann man auch für seine Herkunft stellen. Das zeigt bereits, daß hier ein Denkfehler vorliegt: Der Ursprung von allem kann naturgemäß selbst keine Ursache haben, sonst wäre es ja nicht der Ursprung. Diese Logik gilt unabhängig davon, ob wir den Beginn der Welt als Urknall oder als Schöpfungsakt Gottes betrachten.
Das ist vielleicht leichter zu verstehen, wenn man sich klarmacht, daß es viele solche Paradoxien gibt. So kann man zum Beispiel den Wert von allem in Geld messen, aber nicht den Wert des Geldes selbst. Und jede Bewegung läßt sich in Zeiteinheiten messen, aber nicht der Lauf der Zeit selbst. Es wäre ja sinnlos zu sagen, ein Euro sei genau einen Euro wert oder die Zeit bewege sich um eine Stunde pro Stunde. Genauso sinnlos ist aber die Frage nach dem Ursprung des Ursprungs der Welt. Wir müssen einfach akzeptieren, daß die Welt da ist. Schließlich ist es genauso schwer sich vorzustellen, es gäbe gar nichts, nicht einmal einen leeren Raum, und es hätte nie etwas gegeben.
Vieles spricht für die christliche Interpretation
Da das menschliche Gehirn Teil der Welt ist, wird es diese niemals vollständig erklären können. Daher ist es nicht etwa unwissenschaftlich, sondern völlig rational, an etwas Höheres zu glauben. Es gibt offensichtlich einen nicht weiter erklärbaren Ursprung der Welt, sonst wäre sie und wären wir nicht da. Nichts ist falsch daran, ihn Gott zu nennen. Damit bleibt allerdings noch zu klären, ob es sich tatsächlich um einen gütigen Gott oder nur um einen seelenlosen Urknall handelt.
Tatsächlich spricht vieles für die christliche Interpretation. Da wären zunächst die Naturgesetze, über deren Stringenz und Eleganz wir immer wieder staunen. Nicht umsonst waren gerade große Physiker wie Newton oder auch Einstein zugleich tief gläubige Menschen, wenn auch nicht in einem naiven, sondern eher im pantheistischen Sinne. Die Naturgesetze standen für sie nicht im Gegensatz zu einem höheren Wirken, sondern waren vielmehr gerade der Beweis dafür. Schließlich ist mit dem Urknall keineswegs Chaos entstanden, sondern eine staunenswerte Welt, die sogar so etwas Wunderbares wie die Erde mit ihrer großartigen Natur hervorbrachte.
Am Ende wartet ein Glücksrausch
Wie aber kann es sein, daß ein angeblich gütiger Schöpfer auch Leid und Tod auf der Welt zugelassen hat? Diese sogenannte Theodizee-Frage hat Generationen von Philosophen und Theologen beschäftigt und wird auch heute noch gestellt. Eine einfache Antwort darauf könnte lauten: Freude ohne Leid ist rein logisch gar nicht denkbar! Denn wie sollten wir das Schöne und Gute in der Welt überhaupt erkennen oder gar schätzen, wenn es das Gegenteil gar nicht gäbe?
Man kann sogar argumentieren, daß das Gute insgesamt offensichtlich überwiegt. Denn warum sonst hängt jedes Geschöpf an seinem Leben und verteidigt es um jeden Preis? Daß es Selbstmörder und Lebensmüde gibt, steht dazu nicht im Widerspruch. Denn auch von ihnen dürfte sich wohl keiner wünschen, niemals geboren worden zu sein. Zudem weisen empirische Forschungen über Nahtod-Erfahrungen darauf hin, daß wir ganz am Ende unseres Lebens in eine Art Glücksrausch versetzt werden.
Wir haben einen freien Willen
Medizinisch läßt sich das durch die Überschwemmung des Gehirns mit Endorphinen und anderen glücklich machenden Botenstoffen erklären. Aber warum hat die Natur dies so eingerichtet? Für den Fortbestand der Art ist es offensichtlich gleichgültig, was ein Geschöpf in seinen letzten Sekunden empfindet. Ein gütiger Schöpfer hingegen könnte auf diese Weise das geschaffen haben, was in den meisten Religionen als Paradies versprochen wird – ganz ohne den Bereich des naturwissenschaftlich Erklärbaren zu verlassen.
Leben wir also trotz des vielen Leids letztlich in der besten aller denkbaren Welten, wie Wilhelm Leibniz postulierte? Nach Kant wohl eher nicht, aber unsere Aufgabe ist es auf jeden Fall, sie möglichst jeden Tag ein bißchen besser zu machen. Das führt wieder auf eine ganz praktische Ebene zurück und eröffnet zugleich einen Zugang zum Kern der christlichen Botschaft, auch wenn man die Weihnachtsgeschichte nicht allzu wörtlich nimmt. Diese enthält tiefe Wahrheiten, eignet sich aber in ihrer Schlichtheit eher für Kinder und all jene, die mit tiefschürfender Philosophie nichts anfangen können. Schließlich verwenden auch Ökonomen vereinfachende Modelle, weil die ganze Komplexität der Wirklichkeit niemals erfaßbar ist.
Ob gläubig oder nicht – Weihnachten sollte für jeden von uns Anlaß sein, darüber nachzudenken, wie wir die Welt ein bißchen besser machen können. Das klingt vielleicht banal, ist es aber nicht. Es steht zum Beispiel im klaren Gegensatz zum muslimischen Fatalismus, wonach ohnehin alles von Allahs Willen gesteuert ist. Christentum und Aufklärung sagen gleichermaßen: Wir haben einen freien Willen, damit aber auch die Verantwortung, ihn gut zu nutzen.





