KIEW. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Rücktritt seines Justizministers Herman Haluschtschenko und seiner Energieministerin Switlana Hryntschuk gefordert. „Ich bitte die Parlamentsabgeordneten diese Gesuche zu unterstützen“, betonte Selenskyj in einer Videobotschaft. Zuvor war der ukrainische Justizminister bereits wegen der Verstrickung in einen Korruptionsskandal im Umfang von rund 100 Millionen US-Dollar suspendiert worden. Das teilte Regierungschefin Julia Swyrydenko am Mittwoch mit.
Nach einer außerordentlichen Regierungssitzung schrieb Swyrydenko auf X: „Auf Beschluß der Regierung wurden die Aufgaben des Ministers der stellvertretenden Justizministerin für europäische Integration, Ljudmila Sugak, übertragen.“
Сьогодні вранці провели позачергове засідання Уряду. Ухвалили рішення відсторонити Германа Галущенка від виконання обовʼязків міністра юстиції.
Рішенням Уряду поклали виконання обовʼязків міністра на заступницю міністра юстиції з питань європейської інтеграції Людмилу Сугак.— Yulia Svyrydenko (@Svyrydenko_Y) November 12, 2025
Auslöser ist eine Schmiergeldaffäre rund um das staatliche Energieunternehmen Energoatom, das die Kernkraftwerke des Landes betreibt. Dieses wolle „uneingeschränkt“ mit den Behörden kooperieren und setze sich „für eine umfassende Aufklärung aller Umstände“ ein, hieß es in einer Erklärung. Bei den Ermittlungen durchsuchten die Behörden die Räumlichkeiten des nun suspendierten Justizministers Haluschtschenko, der von 2021 bis zum Sommer dieses Jahres Energieminister war. Er soll unter dem Tarnnamen „Professor“ führendes Mitglied des Korruptionsnetzwerks gewesen sein.
Korruptionsskandal dreht sich um ukrainisches Staatsunternehmen
Am Montag verkündete das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) in einem X-Beitrag, die Ermittler der „Operation Midas“ hätten nach 15 Monaten Arbeit „1.000 Stunden Audioaufnahmen“ gesichert. „Die Aktivitäten einer hochrangigen kriminellen Organisation wurden dokumentiert.“ Mindestens fünf Verdächtige wurden festgenommen.
Zudem veröffentlichte die Behörde Fotos von beschlagnahmten Bündeln und Taschen voller Geld in verschiedenen Währungen. Angefügt war auch ein Video mit Audiospur, das ein Gespräch führender Mitglieder der kriminellen Organisation protokolieren soll. Dazu gehörte offenbar auch der suspendierte Justizminister Haluschtschenko.
⚡️#НАБУ та #САП проводять масштабну операцію з викриття корупції у сфері енергетики.
15 місяців роботи та 1000 годин аудіозаписів.
Задокументовано діяльність високорівневої злочинної організації.
Деталі згодом. pic.twitter.com/AarELB0KAf
— NAB Ukraine (@nab_ukr) November 10, 2025
Konkret geht es um Schmiergelder in Höhe von zehn bis 15 Prozent der Vertragssumme, die die Gruppe von Geschäftspartnern des Energieunternehmens Energoatom gefordert habe – Gelder, die unter anderem für den Schutz ukrainischer Energieanlagen gegen russische Angriffe vorgesehen waren.
Sollten die Geschäftspartner nicht gezahlt haben, sei ihnen angedroht worden, daß versprochene Leistungen nicht erbracht werden würden und die Erpreßten künftig keine Aufträge mehr erhielten. Ein NABU-Ermittler bezeichnete dies als „Schlagbaum“-Methode.
Freund von Präsident Selenskyj ist in Schmiergeldaffäre verstrickt
Die Gruppe soll durch Verbindungen im Energieministerium Einfluß auf Finanzströme, Vergabeabläufe und Personal genommen haben. Die insgesamt veruntreute Summe ist noch nicht abschließend beziffert, soll jedoch etwa 100 Millionen Euro betragen.
Neben dem suspendierten Justizminister soll eine weitere Person im Umfeld des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyjs in die systematische Korruption verwickelt gewesen sein: Der langjährige Freund des Präsidenten Timur Minditsch gilt als Kopf der Bande.
Dieser soll ukrainischen Medienberichten zufolge Miteigentümer der Produktionsfirma Kwartal 95 sein, die Selenskyj gegründet hatte. Innerhalb des Korruptionsnetzwerks soll Minditsch den Decknamen „Karlson“ gehabt haben.
Ermittlungsbehörden warnten Verdächtigen
Wenige Stunden vor der Razzia gegen Minditsch konnte sich der Selenskyj-Vertraute ins Ausland absetzen. Einem Bericht der Online-Zeitung „Ukrajinska Prawda“ zufolge könnte er vom stellvertretenden Leiter der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) gewarnt worden sein. Neben dem NABU leitete die SAP die Ermittlungen im Korruptionsskandal. Der Vorfall habe interne Untersuchungen bei der Sonderstaatsanwaltschaft zur Folge.
Bereits 2024 war der Selenskyj-Freund Minditsch laut dem Oppositionspolitiker Jaroslaw Schelesnjak in Diamantengeschäfte verwickelt gewesen.
Selenskyj ist angezählt
Die Enthüllungen beschädigen Selenskyj nicht nur wegen seiner persönlichen Nähe zu den mutmaßlichen Köpfen der Bande. Auch hatte sich der ukrainische Präsident noch im Sommer dafür stark gemacht, die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden NABU und SAP einzuschränken.
NABU und SAP sollten Selenskyj zufolge dem Generalstaatsanwalt unterstellt werden, der wiederum von ihm ernannt wird. Kritiker sahen darin eine gezielte Schwächung der Korruptionsbekämpfung. Die daraufhin ausgelösten landesweiten Proteste hatten dazu geführt, daß die Präsidialverwaltung vorerst von ihrem Vorhaben abrückte, den Behörden ihre Kompetenzen zu entziehen.
Die Ermittlungen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem die ukrainische Regierung weiter internationale Unterstützung wegen des andauernden Krieges fordert. Laut ukrainischen Medienberichten schwächt der Skandal, der bis in Minister- und Freundeskreise Selenskyjs vordringt, dessen innen- sowie außenpolitische Stellung. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung das Mißtrauen gegenüber der Korruptionsbekämpfung und den staatlichen Institutionen. (rsz)






