Auf dem Leidener Podium hängt eine große niederländische Flagge, die Teilnehmer der Parteiversammlung schwenken rot-weiß-blaue Winkelemente: So feiert die sozialliberale D66 in den Niederlanden ihre steigenden Umfragewerte, kommende Woche wird das Parlament neu gewählt. Die Flagge, so erklärt der Parteivorsitzende Rob Jetten in Südholland, müsse endlich von rechter Vereinnahmung zurückgeholt werden. Er sieht sich als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, doch tatsächlich dürfte seine Partei bei der anstehenden Wahl die Liberalen der VVD überrunden.
Seit Mark Rutte sich von deren Parteispitze Richtung Nato verabschiedet hat, versucht Dilan Yesilgöz die Partei auf einen konservativeren und pro-israelischeren Kurs zu führen. Bei der Diskussion zu Gaza stach sie durch eine besonders israelfreundliche Haltung hervor. Gleichzeitig beschuldigte sie den niederländischen Sänger Douwe Bob in einem Tweet des Antisemitismus, wofür sie sich nach öffentlichem Druck entschuldigte.
Vielen in der Partei behagt das nicht. So klagt der Vorsitzende der Parteijugend, Friso van Gruijhuisen, die VVD entwickle sich zu einer „PVV-light“ mit antidemokratischen Meinungen. Der ehemalige Parteistratege Mark Thiessen geht sogar so weit zu erklären, die VVD mache sich selbst überflüssig. Yesilgöz beeilt sich derweil zu erklären, eine Teilnahme an einer linken Regierung käme für sie nicht in Frage, eine Zusammenarbeit mit Geert Wilders PVV hatte sie allerdings schon davor ausgeschlossen.
In Holland entscheidet die Migrationsfrage
Dagegen darf sich Wilders immer noch über gute Umfragewerte freuen. Seine Partei wird erneut als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen – 20 Prozent der Wählerstimmen dürften auf ihn entfallen. Doch eine erneute Kooperation ist unwahrscheinlich. Es wird ihm übelgenommen, daß er in der Zeit seiner Regierungsbeteiligung die Ankündigung, die Niederlande würden die „strengste Asylpolitik aller Zeiten“ erleben, nicht einmal ansatzweise umgesetzt hatte, sondern die Regierungskoalition hat platzen lassen.

Dabei ist die anhaltende Einwanderung das Dauerthema. In Eigeninitiative hatten niederländische Bürger im Sommer Grenzkontrollen Richtung Deutschland durchgeführt, nachdem die deutsche Polizei einen Migranten wieder in die Niederlande zurückgeschickt hatten. Als die Aktivistin „Els Rechts“ im September zu einer Demonstration gegen die gescheiterte Einwanderungspolitik aufgerufen hatte, blockierten Hooligans, die daran teilgenommen hatten, die Stadtautobahn und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. „Wir sind die Niederlande“ skandierend entglasten sie ein Parteibüro der D66. In der Woche nach den Parlamentswahlen soll es von der Gruppe „Uithoorn – weg damit“ Proteste gegen den Bau einer Asylunterkunft in diesem Ort geben.
Anders als die PVV sind sowohl die Bauernbürgerbewegung (BBB) als auch der NSC (Neuer Sozialvertrag) – beide immerhin an der letzten Regierung beteiligt – bedeutungslos geworden, NSC hat nach dem Abschied des Parteigründers Pieter Omtzigt jede Unterstützung verloren. Statt 12,8 Prozent Wählerstimmen bei den vorigen Wahlen darf die Partei noch mit 0,4 Prozent rechnen.
Liberal-Konservative hoffen auf starken Stimmenzuwachs
Erstarkt ist hingegen die JA21, die aus dem Forum für Demokratie hervorgegangen ist. Mit den Themen mehr Wohlfahrt, weniger Bürokratie, weniger Einwanderung punktet die Partei, die sich selbst als liberal-konservativ versteht. Joost Eerdmans und Annabel Nanninga, mit ihren Anfangsbuchstaben Namensgeber der Partei, können mit einer Verzehnfachung der Stimmen rechnen und bis zu 13 Mandatsträger entsenden. „Jedes Jahr kommen mehr als hunderttausend Migranten in die Niederlande, während übermäßige Stickstoffvorschriften den Wohnungsbau behindern. Um den Wohnungsmangel strukturell zu lösen, muß die Nettomigration reduziert und die Stickstoffvorschriften gelockert werden“, betont Eerdmans im Wahlkampf.
Neu ausgerichtet hat sich auch das rechte Forum für Demokratie (FvD). Der umstrittene Parteigründer Thierry Baudet hat sich vorerst in die zweite Reihe verabschiedet. An seiner Stelle führt die 28jährige Lidewij de Vos die Kandidatenliste an. Die Biologin hat sich vor allem um das Stickstoffthema, welches die niederländische Landwirtschaft beherrscht, verdient gemacht. Der Rückzug Baudets dürfte sich auszahlen: In den Umfragen konnte sich die Partei verdoppeln.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erklärt de Vos: „Wir sehen die Wahlen als eine Chance, die grundlegende Debatte über Masseneinwanderung, die desaströse Klimapolitik und den Würgegriff der EU erneut zu führen.“ Den Fehler, innerhalb des bestehenden Systems Zugeständnisse zu machen, will sie nicht machen: „Wir sagen, was wir denken und tun, was wir sagen. Wir sind bereit für Zusammenarbeit, aber ohne unsere Kernprinzipien aufzugeben. Nur so bekommen die Niederlande wirklich einen rechten Kurs.“





