WARSCHAU. Das Bezirksgericht von Warschau hat sich am Freitag gegen die Auslieferung von Wolodymyr Sch. entschieden, der in Deutschland wegen der Beteiligung am Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines angeklagt wird. Der polnischen Seite fehlten die Beweise, ob die Vorwürfe eine ausreichende Grundlage für einen europäischen Haftbefehl bilden könnten, teilte das Gericht mit.
Die deutschen Ermittler hätten demnach lediglich „sehr allgemein gehaltene, formell geforderte Informationen zur Tat“ geliefert, die sich „auf einer DIN-A4-Seite“ befänden. Zugleich betonte das Gericht, es habe weder Kompetenzen, um die tatsächliche Beteiligung am Sabotageakt festzustellen, noch über die politische Dimension der Vorwürfe zu urteilen. Mit der Entscheidung wird auch die Untersuchungshaft für den 45jährigen ausgesetzt.
„Wo ist hier ‘verfassungsfeindliche Sabotage’?“
Während des Prozesses warf der Verteidiger von Sch. der Justiz der Bundesrepublik vor, von der Politik abhängig zu sein. „Die Richter dort genießen keine unverletzliche Immunität“, argumentierte er. Dabei verwies er auf das Urteil gegen einen Weimarer Richter, der nach einem Urteil zu Corona-Masken wegen Rechtsbeugung verurteilt worden war (JF berichtete).
Auch betonte der Anwalt, der Rat der EU habe das Nord Stream zur Kriegsinfrastruktur Rußlands erklärt. „Wo können dann gegenüber einem ukrainischen Staatsbürger Handlungen als ‘verfassungsfeindliche Sabotage’ angesehen werden?“ Dies sowie die vorsätzliche Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sind die Anklagepunkte des Generalbundesanwalts.
Wolodymyr Sch. wurde erst Ende September auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls in Pruszków unweit der polnischen Hauptstadt verhaftet, wo er seit Jahren lebte. Zuvor konnte auch er in die Ukraine fliehen.
Polen lehnte Nord Stream von Anfang an ab
Unter anderem Polens Ministerpräsident Donald Tusk hatte sich gegen seine Auslieferung ausgesprochen. „Es liegt sicherlich nicht im Interesse Polens und im Interesse eines Gefühls von Anstand und Gerechtigkeit“, hieß es von ihm am Dienstag beim Staatsbesuch in Italien. Der dort befindliche Mitbeschuldigte, Serhij K., wird vorerst ebenfalls nicht ausgeliefert, entschied das italienische Berufungsgericht (JF berichtete).
Ende September 2022 hatten unbekannte Täter drei der vier Pipelines der beiden Nord-Stream-Projekte gesprengt. Das aus dem Betrieb genommene Nord Stream 1 hatte noch 2021 mehr als ein Drittel der russischen Gasexporte in EU-Staaten transportiert. Sowohl Moskau als auch Kiew bestreiten jegliche Beteiligung an dem Anschlag.
Polen lehnte das Projekt von Anfang an ab (JF berichtete ausführlich) und begründete dies mit der möglichen politischen Instrumentalisierung durch den Kreml. 2006 hatte der heutige Außenminister Radosław Sikorski gewarnt, damit könne sein Land von der Gasversorgung abgehängt werden. „Wir sind erstaunt, daß Deutschland etwas tut, das zum Nachteil der deutschen Konsumenten ist und dessen geopolitisches Ziel gegen Polen gerichtet ist“, sagte er dem Spiegel. (kuk)