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Ist Brüssel schlimmer als Belgrad?

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Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Ironie – und könnte komisch wirken, ginge es nicht um ernste Dinge. Noch vor wenigen Monaten trat Österreich – damals als turnusmäßiger Vorsitzender der EU – gelegentlich durchaus mit erhobenem Zeigefinger auf – etwa gegenüber der damaligen Regierung Kroatiens unter Franjo Tudjman. Die Kroaten wurden aus Wien in Sachen Menschenrechte, der serbischen Minderheit, Medienfreiheit, aber auch Demokratisierung ermahnt. In den letzten Tagen hat sich das Bild umgedreht: jetzt sitzen die Österreicher auf der Brüsseler Anklagebank und die neuinstallierte Linksregierung Kroatiens, die Tudjmans Partei nach den jüngsten Wahlen abgelöst hat, ermahnt nun ihrerseits die Österreicher, ja schön brav demokratisch zu sein und die Minderheiten (vor allem die Kroaten im Burgenland) nicht zu diskriminieren. Andererseits aber ist sich natürlich auch die Regierung des ehemaligen KP-Mannes Racan darüber klar, daß Österreich dem Staat und den Bürgern Kroatiens in den vergangenen Jahren große Hilfe geleistet hat. Folglich schlägt man in Zagreb einen Purzelbaum, verbeugt sich einerseits vor der mächtigen EU, um aber am Ende den Wienern zu beteuern, man wünsche die guten Beziehungen auch weiterhin fortzusetzen. Also doch kein kroatischer Boykott gegen Österreich. Die kleinen Länder Mittel- und Osteuropas sind nach dem „Fall Österreich“ buchstäblich hin- und hergerissen. Einerseits streben sie alle in die EU und die Nato, wobei man etwa am Beispiel Ungarns erkennt, daß ersteres noch schwieriger sein kann als letzteres. Andererseits aber sind diese Staaten, die erst unlängst einer anderen „supranationalen Gesellschaft“ entronnen sind – nämlich dem Ostblock beziehungsweise der Sowjetunion – gebrannte Kinder. Ein hoher Beamter Sloweniens, der unlängst von Verhandlungen mit der EU-Bürokratie aus Brüssel nach Laibach (Ljubljana) zurückkehrte, brach in den Stoßseufzer aus: „Brüssel ist schlimmer als Belgrad“ (nach Belgrad mußten die Slowenen fahren, als sie noch zum „übernationalen“ Jugoslawien gehörten). Das war längst vor Haiders Auftauchen am Horizont jenseits der Karawanken. Die Reaktion nicht nur der einzelnen Länder und Regierungen im „postkommunistischen“ Raum, sondern auch innerhalb der betreffenden Staaten, ist vielschichtig, aber zumeist nachdenklich. Bei den nächsten „postkommunistischen“ Nachbarn Österreichs haben nur zwei Staatsoberhäupter äußerst negativ auf Haider reagiert und die EU-Maßnahmen zumindest indirekt gut geheißen: nämlich der tschechische Präsident Vaclav Havel und der slowenische Präsident Milan Kucan. Kucan, bis zur Wende kommunistischer Parteichef (und seither erster demokratisch gewählter Präsident), bezeichnete in einem Interview der slowenischen Zeitung Delo Haider als „eine Gefahr für Europa“ und begründete dies mit der Forderung des FPÖ-Chefs nach Aufhebung der sogenannten AVNOJ-Dekrete des kommunistischen Jugoslawiens, durch welche die Angehörigen der deutschen Volksgruppe für vogelfrei erklärt wurden. Aber bereits die slowenische Regierung benahm sich weitaus vorsichtiger und schloß sich den EU-Sanktionen nicht an – wohl wissend, daß sie sich sonst ins eigene Fleisch schneiden würde. In Prag benutzte der ehemalige Regierungschef und jetzige Parlamentspräsident Vaclav Klaus – dem man ansonsten keinerlei sentimentale Beziehung zu Wien nachsagen kann – die Gelegenheit, um seinem ungeliebten Rivalen Havel eins auszuwischen – und der EU einen Stein über den Zaun zu werfen. „Es kommt mir sehr seltsam vor“, sagte Klaus, „daß die österreichischen Wähler jemandem ihre Stimme gaben – und nun von draußen ihnen diktiert werden soll, wer bei ihnen in der Regierung sein darf.“ Neben Ungarn bezog die Slowakei deutlich Stellung gegen die EU – so daß amerikanische Medien diskret daran erinnerten, beide Staaten seien während des Zweiten Weltkriegs Verbündete Hitlers gewesen. Der stellvertretende slowakische Außenminister der Slowakei Jan Figel, will die EU-Sanktionen nicht mitmachen. Sein Land müsse zuerste die eigenen Interessen wahren. Österreich ist der wichtigste Handelspartner der Slowakei – und Pressburg (Bratislava) fast so etwas wie ein „Vorort“ von Wien. Unabhängig von der „ideologischen“ Orientierung betrachten auch solche Mittel- und Osteuropäer, die mit Haider nichts im Sinn haben, die Entwicklung des Konflikts zwischen Österreich und der EU mit Sorge und Unbehagen. „Was heute den Österreichern passiert, kann in fünf oder zehn Jahren – wenn wir EU-Mitglieder sein werden – auch uns passieren“, sagte einer von ihnen. Man habe noch deutlich in Erinnerung, wie einen die damalige Hegemonialmacht Moskau unter Druck setzte. Brüssel und die EU erscheinen nun als Januskopf: hinter dem freundlichen europäischen Gesicht taucht plötzlich eine unbarmherzige, bösartige Maske auf: der EU-Apparat als bürokratische Walze, die über die Interessen der kleineren Länder hinwegfährt. Zwei Argumente hört man in den mittelosteuropäischen Hauptstädten immer wieder: Mit den „Großmächten“ in der EU – Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Italien – wäre man nicht so rücksichtslos umgesprungen – und: Wenn das relativ wohlhabende Österreich als Nettozahler so abgebürstet wird, wie wird man dann erst mit uns armen Schluckern umspringen? Die EU-Aktion „scharf gegen Österreich“ zeitigt also interessante Nebenwirkungen. Zu einer Steigerung der Europabegeisterung wird sie in den mittel- und osteuropäischen Staaten gewiß nicht beitragen.

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