STRASSBURG. Das Europäische Parlament hat einen Mißtrauensantrag gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) abgelehnt. 175 Abgeordnete stimmten für den Antrag, 360 stimmten dagegen. Bei insgesamt 553 abgegeben Stimmen gab es 18 Enthaltungen. Somit bleibt die 66jährige im Amt.
Kommissionspräsidentin von der Leyen blieb der Abstimmung über das Mißtrauensvotum gegen ihre Behörde fern. Während im Straßburger Parlament über den Antrag verhandelt wurde, reiste sie zur Ukraine-Konferenz nach Rom. Dort trifft sie unter anderem den US-Senator Lindsey Graham, dessen Sanktionsgesetz gegen Rußland derzeit im Kongreß verhandelt wird. Die demonstrative Abwesenheit wird parteiübergreifend als Zeichen der Selbstsicherheit gewertet.
Der deutsche Abgeordnete Arno Bausemer (AfD, ESN-Fraktion) erklärte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, seine Fraktion habe das Mißtrauensvotum „von Beginn an entschieden unterstützt“. Fast alle ESN-Abgeordneten hätten den Antrag unterzeichnet. „Ohne unsere Unterschriften wäre die heutige Abstimmung nicht möglich gewesen.“ Es sei Zeit, daß Ursula von der Leyen gehe. Europa verdiene „Besseres als Korruption, Intransparenz und undemokratisches Gebaren“. Ziel der ESN bleibe ein Europa souveräner Nationen, in dem die Macht der Kommission „Schritt für Schritt“ zurückgedrängt werde.
Von der Leyen warb für Zustimmung
Zuvor hatten die Sozialdemokraten im Parlament damit gedroht, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Eine Enthaltung hätte das politische Gewicht des Mißtrauensantrags erhöht und die Mehrheit der Europäischen Volkspartei in Frage gestellt. In letzter Minute sicherte die Kommission deshalb zu, den Europäischen Sozialfonds+ im kommenden Haushalt nicht anzutasten. Das Programm finanziert Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung und sozialen Förderung und soll in den nächsten Jahren rund 150 Milliarden Euro umfassen.
Auch Renew Europe kündigte an, gegen das Mißtrauensvotum zu stimmen. Die liberale Fraktion erklärte, ein möglicher Führungswechsel müsse inhaltlich erfolgen – spätestens bei von der Leyens Rede zur Lage der Union im September.
Gericht rügt Umgang mit Pfizer-Kontakten
Der Antrag selbst geht zurück auf die Weigerung der Kommission, der Journalistin Matina Stevi von der New York Times Zugang zu SMS zwischen von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla zu gewähren. Die Nachrichten entstanden zwischen Januar 2021 und Mai 2022 im Zusammenhang mit milliardenschweren Impfstoffverträgen. Die Kommission behauptete, sie besitze die Nachrichten nicht. Das Gericht der Europäischen Union erklärte diese Darstellung am 14. Mai 2025 für unzureichend. Die Kommission habe nicht plausibel erklärt, warum keine Dokumente vorhanden seien, und damit gegen ihre Transparenzpflicht verstoßen.
Die Initiatoren des Antrags kritisieren zudem, daß die Kommission rund 35 Milliarden Euro für Impfstoffe ausgegeben habe, ohne eine angemessene Kontrolle zu gewährleisten. Etwa vier Milliarden Euro an Impfdosen seien ungenutzt geblieben. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2022 wegen möglicher Unregelmäßigkeiten bei den Beschaffungsverträgen.
Weiter wird der Kommission ein rechtswidriger Umgang mit Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU vorgeworfen. Dieser sei genutzt worden, um einen 150 Milliarden Euro schweren Rüstungsfonds („SAFE“) zu rechtfertigen – obwohl die Vorschrift lediglich kurzfristige Krisenmaßnahmen erlaubt. Der Rechtsausschuß des Parlaments hatte die rechtliche Grundlage im April 2025 einstimmig zurückgewiesen.
Wahlbeeinflussung durch Digitale-Dienste-Gesetz?
Ein weiterer Vorwurf betrifft angebliche Einmischungen in Wahlverfahren in Deutschland und Rumänien. Laut Antrag wurde der sogenannte Digital Services Act dazu mißbraucht, um Wahlen einzuschränken oder Ergebnisse anzufechten.
In der Begründung heißt es, die Kommission verletze grundlegende Prinzipien demokratischer Kontrolle, Transparenz und institutioneller Verantwortung. Sie habe das Vertrauen des Parlaments verspielt und müsse daher geschlossen zurücktreten. Der Antrag wurde von mehr als 70 Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen eingebracht.
Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán forderte von der Leyen offen zum Rücktritt auf. Das Votum sei ein „Augenblick der Wahrheit“ – Brüssel stehe gegen die Patrioten Europas, erklärte er. Von der Leyens Bilanz sei eine Katastrophe, von der Impfstoffbeschaffung bis zur Migrationspolitik.
Zustimmung braucht doppelte Mehrheit
Für ein erfolgreiches Mißtrauensvotum ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit der Abgeordneten, also mindestens 361 von 720, erforderlich. Zudem muß eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht werden – Enthaltungen zählen nicht mit.
Die aktuelle Sitzverteilung des Parlaments zeigt die Europäische Volkspartei (aus Deutschland: CDU und CSU) mit 188 Sitzen als stärkste Kraft, gefolgt von der sozialdemokratischen S&D (SPD) mit 136 Sitzen, Renew Europe (FDP) mit 77 und den Grünen/EFA (Grüne) mit 53. Die EKR-Fraktion hält 78 Mandate, das rechtskonservative Bündnis „Patriots for Europe“ kommt auf 84. Die Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“ (AfD) kommt auf 27 Sitze, die Linksfraktion „The Left“ (Die Linke) auf 46. Hinzu kommen 32 fraktionslose Abgeordnete. (sv)