Helle Aufregung herrschte in einigen Redaktionsstuben sogenannter „Leitmedien“: „So geht das nicht“ und das sei „recht leichtfertig“, monierte die Süddeutsche Zeitung mit hochgezogenen Augenbrauen diesen Vorgang. Spektakulär hatten am späten Dienstag nachmittag vergangener Woche nahezu zeitgleich die JUNGE FREIHEIT, Cicero und Nius das komplette Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Hochstufung der AfD online publiziert. In ihrem aktivistisch verfolgten „Kampf gegen Rechts“ vergessen manche Journalisten, daß es ihre vorrangige Aufgabe wäre, dem Staat und seinen Repräsentanten auf die Finger zu schauen und kritisch zu überwachen, ob Behörden in demokratische Grundrechte der Bürger und insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit eingreifen.
Doch machen wir es kurz: Beim Umgang mit der AfD geht es schlicht um Macht. Wer in diesem Fall über die amtliche Einordnung als Verdachtsfall oder „gesichert extremistisch“ entscheidet, entscheidet über künftige politische Wirksamkeit von Mehrheitsverhältnissen in Deutschland. Erhält die AfD dauerhaft diesen negativen amtlichen Stempel, dann können insbesondere Politiker der CDU/CSU gestützt auf staatliche Autorität rechtfertigen, weshalb sie die AfD als Gesprächs- und potentiellen Koalitionspartner ausschließen. Ergebnis: Die längst vorhandenen Mehrheiten Mitte-Rechts aus Union und AfD kommen damit politisch nicht wirksam zum Tragen – die CDU wird statt dessen gekettet an linke Bündnisse mit SPD, Grünen und neuerdings sogar der Linkspartei.
Das Gutachten ist ermüdend und redundant
Seit längerem wurde über das vom Verfassungsschutz bearbeitete Gutachten gemunkelt, wurde die Behörde gedrängt, die „Hochstufung“ der Partei endlich öffentlich zu machen. Zu einem zeitlichen Hin und Her kam es am Ende durch die Abfolge der Wahlen. Eine Öffentlichmachung während national wichtiger Wahlkämpfe wäre juristisch zusätzlich angreifbar gewesen. Weil damit unbestreitbar eine Abschreckungswirkung für Wähler verbunden ist. Darum jetzt kurz nach der Bundestagswahl der eilige Schritt, bevor die nächsten Wahlen ins Haus stehen könnten.
Das nunmehr an die Öffentlichkeit geratene Gutachten ist in seiner Dürftigkeit erschreckend. Es wurden hier keine geheimen Informationen offenbart. Ebenso sucht man „rauchende Colts“ vergebens, mit denen der AfD insbesondere „aggressiv-kämpferische“ Pläne zur Beseitigung der staatlichen Ordnung Deutschlands hätten nachgewiesen werden könnten. Statt dessen ein redundantes, ermüdendes Konvolut von häufig aus dem Zusammenhang gerissenen Meinungsäußerungen, die vereinzelt geschmacklos oder politisch dumm, in ihrer erdrückenden Mehrzahl aber harmlos, vor allem „verfassungsrechtlich irrelevant“ sind, wie es der Staatsrechtler Dietrich Murswiek nüchtern feststellt.
Der Bürger soll getäuscht werden
Erkennbar macht sich selbst unter Befürwortern eines AfD-Verbotsverfahrens angesichts der Schlichtheit des VS-Gutachtens eine gewisse Ernüchterung breit. Immerhin stellte der neue CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt jetzt fest: „Für ein Verbotsverfahren ist dieses Gutachten nicht ausreichend.“ Und er rate dazu, nicht mit „Verbotsdebatten“, sondern mit „guter Politik“ die Parteien „an den Rändern“ wieder kleiner zu machen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wandte sich ebenfalls gegen ein Verbotsverfahren und stellte fest: „Das riecht mir zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung.“
Doch bekanntlich sind Unionspolitiker in dieser Frage Getriebene. Trotz der eklatanten Mängel des vom Verfassungsschutz zusammengeschusterten Papiers wollen etablierte Politiker, öffentlich-rechtliche Medien, Kirchen und andere „gesellschaftlich relevante Kräfte“ auch unterhalb eines – juristisch illusionären – Parteiverbots unbeirrt an der Strategie der Eindämmung und des schrittweisen Ausschlusses der AfD vom gleichberechtigten demokratischen Wettbewerb festhalten. Weniger der dürftige Inhalt und die mangelnde juristische Relevanz als vielmehr das schiere Gewicht der 1.108 Seiten soll Eindruck machen und einschüchtern. „Irgendwas wird schon dran sein“, soll sich der brave Bürger sagen.

Das dicke Gutachten kombiniert mit den gebetsmühlenartig in jeder Nachrichtensendung wiederholten unheilschwangeren Begriffen „gesichert“ und „rechtsextrem“ sollen eine propagandistische Feuerwand erzeugen, die niemand Zurechnungsfähiger mehr zu durchschreiten wagt. Diese bedrohliche Kulisse soll abstützen, weshalb die Zurücksetzung der AfD in der Öffentlichkeit „alternativlos“ ist. Warum Union, SPD, Grüne einschließlich der SED-Linken selbstbeweihräuchernd von „wir Demokraten“ und „unsere Demokratie“ tönen. Weshalb der AfD im Bundestag „natürlich“ angestammte Rechte vorenthalten werden: Vizepräsidentschaften, Ausschußvorsitze, angemessene Sitzungssäle. Warum postwendend die Überprüfung von Beamten diskutiert wurde, die in der AfD engagiert sind. Und weshalb die jüngste Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit diebischer Häme auf der Titelseite frohlocken kann: „Waffenverbot für AfD-Mitglieder – Wenn die Partei gesichert rechtsextrem ist, müssen alle ihre Waffen abgeben“.
Die Verfassungsschutzbehörden gehören abgeschafft
Auch wenn insbesondere unter Staatsrechtlern die Kritik am Verfassungsschutz und seiner offenkundig mißbräuchlichen Instrumentalisierung im demokratischen Wettbewerb der Parteien wächst: Es spricht wenig dafür, daß sich an dieser Praxis vorläufig etwas Grundlegendes ändert. Dies kann nur durch harten juristischen Abwehrkampf und sich weiterhin verändernde politische Mehrheiten erzwungen werden. Denn noch mal: Es ist eine politische Machtfrage. Nicht zuletzt für eine Änderung der Verfassungsschutzgesetze braucht man parlamentarische Mehrheiten.
Die Affäre um das skandalöse AfD-Gutachten unterstreicht die Forderung nach einer grundlegenden Reform der Verfassungsschutzbehörden oder ihrer völligen Abschaffung, wie es der SPD-Politiker Mathias Brodkorb in seiner Studie „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat“ fundiert gefordert hat. Es wäre zu begrüßen, wenn sich die Debatte in diese Richtung entwickelt.