Anfang Mai 1945 brodelt es in dem noch immer von den Deutschen besetzten Prag. Gerüchte von der deutschen Kapitulation, von der Auflösung des Protektorats, von nahenden US-Truppen machen die Runde. Täglich steigt die Gefahr eines spontanen Aufstands. Am 4. Mai spitzt sich die Situation zu, als überall in der Stadt deutsche Aufschriften entfernt, tschechoslowakische Fahnen gehißt, die Reichsmark als Zahlungsmittel abgelehnt wird.
Allerdings fehlt es dem Widerstand „fast vollständig an Waffen, und auch die zahlenmäßige Stärke der Untergrundgruppen und halbmilitärischen Organisationen erlaubte es nicht, irgendeine Kampfaktion zu eröffnen“, schätzt der Tschechische Nationalrat (Česká národi rada/ČNR) ein. Dieser hatte sich am 24. Februar 1945 als Zusammenschluß des „Rates der Drei“ (Rada 3), des liberalen Petitionsausschusses (PVVZ), des Zentralrates der Gewerkschaften und der Kommunisten gegründet. Zwar ist er der Prager Bevölkerung völlig unbekannt, stellt aber „in der illegalen Splittermasse, in der sich im Frühling 1945 der heimische Widerstand befand“, die bedeutendste Gruppierung dar, wie Stanislaw Kokoska in seiner Dissertation „Prag im Mai 1945. Die Geschichte eines Aufstandes“ befand.
Deutsche Herrschaft „in Ruhe und Ordnung“ beenden
Im Prinzip richtet sich der ČNR auf zwei Optionen ein: einen bewaffneten Aufstand mit Unterstützung alliierter Fallschirmspringer unter der Voraussetzung, daß entweder „die Armee von General Patton oder die Rote Armee von Nordosten“ schnellstens auf Prag vorrückt oder einen freiwilligen Abzug der Deutschen. Deswegen soll mit Aktionen so lange gewartet werden, „bis eine beträchtliche Hoffnung besteht, daß es nicht zu einem bewaffneten Zusammenstoß mit den Deutschen kommt“.
Darauf hofft auch Karl-Heinz Frank, Staatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren. Dieser sinnt bereits im März 1945 darüber nach, wie die deutsche Herrschaft im Protektorat „in Ruhe und Ordnung“ beendet werden könne. Als geeignete Möglichkeit erscheint ihm die Übergabe der „Verwaltungs- und Exekutivmacht ohne Blutvergießen an jede tschechische Regierung oder jeden Nationalausschuß“. Am 3. Mai erklärte Frank Prag zur Lazarettstadt.
Am 3. Mai beginnt der Prager Aufstand
Der Plan des ČNR sieht vor, „bei der Kapitulation der Deutschen sofort Prag militärisch zu besetzen, die Ordnung zu erhalten und Deutsche und Kollaborateure zu verhaften, gegebenenfalls Widerstände zu liquidieren“. Sollte es allerdings zu einem Volksaufstand kommen, wäre es die Pflicht der Offiziere, „die Kämpfe militärisch zu erfassen und so den deutschen Widerstand zu brechen“. Dafür stehen das Prager Bataillon der tschechischen Regierungsarmee mit 400 Mann, die aus mehr als 500 Soldaten bestehende Wachabteilung in Lány, 3.700 Protektoratspolizisten, etwa 1.600 Berufsfeuerwehrmänner und 4.200 Luftschutzpolizisten bereit.
Ausgelöst wird der Aufstand schließlich für alle überraschend am 5. Mai, als Gendarmerieoberst Jan Voženílek, Kommandeur des Generalkommandos der Protektoratspolizei, den Befehl gibt, „die Aktion im Rundfunk zu beginnen“. Gegen halb eins besetzt ein Überfallkommando die Rundfunksendestation in Strašnice und ruft zum Aufstand auf.
Die Wehrmacht verfügt in Prag zwar über rund 8.000 Soldaten und auf dem nahen Truppenübungsplatz stehen 4.000 Waffen-SS-Angehörige, aber die deutsche Seite befindet sich in einem Befehlsvakuum. Überdies teilt der Prager Kommandeur der Waffen-SS, Gruppenführer Carl Friedrich Graf von Pückler-Burghauss, mit, seine Einheiten würden selbständig vorgehen. Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, Oberbefehlshaber des Heeres, wiederum hat am 6. Mai von Dönitz den Befehl erhalten, den Rückzug der Heeresgruppe Mitte zu den amerikanischen Linien einzuleiten. Dafür benötigt er zwingend den Verkehrsknoten Prag. Also setzt er die 4.000 Angehörigen der Waffen-SS vom nahen Truppenübungsplatz ein, um die Stadt freizukämpfen.
Tschechen lehnen Kooperation mit Wlassows Truppen ab
Die Nachricht vom Aufstand in Prag erreicht auch die 600. Infanteriedivision der Wlassow-Armee unter dem Kommando von Generalmajor Sergej Kusmitsch Bunjatschenko. Dieser hatte sich befehlswidrig von der Oder über Dresden nach Böhmen abgesetzt. Bunjatschenko erscheint die Situation günstig, seine Division gegen die Deutschen zu führen und als „Befreier von Prag“ einen Status zu erhalten, der den US-Amerikaners eine Auslieferung seiner Soldaten an die Sowjets unmöglich machen würde.
Die Division rückt am 6. Mai in drei Kolonnen kämpfend gegen Prag vor. Daß Bunjatschenko schließlich den Vormarsch einstellt und sich in Richtung amerikanische Linien absetzt, hat zwei Gründe: Der ČNR weigert sich aus Angst vor Stalin, die russischen Soldaten in Wehrmachtuniformen als Verbündete offiziell anzuerkennen. Bereits am 7. Mai ist die Lage der Aufständischen mehr als kritisch. Ihre Niederlage verhindert lediglich das Bekanntwerden der deutschen Gesamtkapitulation, die zu Mitternacht auf den 9. Mai in Kraft treten soll. Schörner läßt Frank und dem Prager Stadtkommendanten General Rudolf Toussaint ausrichten, es sei nicht mehr in seiner Macht, irgend etwas für sie zu tun.
Der ČNR, der auf einer bedingungslosen Kapitulation bestehen wollte, beugt sich der militärischen Situation. Insbesondere ČNR-Präsident Albert Pražák hat Angst, daß sich das historische Prag ganz zu Kriegsende noch in eine Trümmerstadt verwandeln könnte. Denn die Waffen-SS steht am Altstädter Ring und droht mangels Artillerie mit dem „Niederbrennen der Häuserblöcke“, um den Widerstand zu brechen. Letztlich geben die Tschechen nach. Von Kapitulation ist in dem am 8. Mai nachmittags unterzeichneten Dokument keine Rede mehr, sondern von einem „Abkommen über die Weise des Abzugs aller deutschen Streitkräfte einschließlich der Luftwaffe, aller Kommandanturen, Verbände der Waffen-SS, Polizei und aller staatlich und militärisch organisierten Einheiten im Gebiet von Prag und Umgebung“.
Aufgehängt, angezündet, geprügelt, erschossen, überrollt
Wie der Abzug der Deutschen aussah, schildert ein Jahr später ein Augenzeuge in der Tageszeitung Lidová demokracie: „Zuerst fuhren die motorisierten Einheiten und nach ihnen marschierten Fußtruppen, die sich mit kleinen Scharen deutscher Flüchtlinge mischten. Zum Schluß traben Zivilisten, alle die nicht mehr Platz gefunden hatten auf der Unzahl der Fahrzeuge, Kinderwagen angebunden an Autos und schwer über das unebene Pflaster hüpfend, Handwagen, alles mit dem Nötigsten beladen, was ein flüchtender Mensch mitnehmen kann, von Grauen gepackt vor einem weiteren Leben unter uns.“

Es ist die Flucht vor einem sich anbahnenden, bis heute ungesühnten Massaker an den Deutschen in Prag. Die in Prag zurückbleibenden deutschen Zivilisten und Schwerverwundeten sind hilflos dem siegestrunkenen Mob ausgeliefert. Tausende werden aufgehängt, mit Benzin überschüttet und angezündet, öffentlich zu Tode geprügelt, erschossen oder auf dem Boden liegend mit Lkws überrollt. So endet der Aufstand, der beinahe zur völligen Zerstörung der historischen Innenstadt geführt hätte und nach heutiger tschechischer Lesart „militärisch nicht entscheidend, aber wichtig für die Moral war“.